Distanziert euch von Rechten!

Published On: 18. April 2020

Während der heutigen Demonstration für Grundrechte marschierten Rechte durchs Scheunenviertel. Das darf nicht sein und ist wohlmöglich die Auswirkung eines strategischen Kommunikationsfehlers der Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand (KDW).

Die KDW um den Journalisten Anselm Lenz und Kollegium rief durch ihre Zeitung DER WIDERSTAND, durch ihre Newsletter und Internetseiten zu heute um 15.30 Uhr zur »Vierten Hygienedemo« auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin.

Auf diversen Rocket.Chat-Kanälen wurden Gedanken zum Thema Grundrechte im Allgemeinen ausgetauscht, aber meines Wissens nicht zur »Vierten Hygienedemo« aufgerufen. Etwaige Aufrufe auf Telegramm-Kanälen, deren Namen auf eine Nähe zur KDW schließen lassen, seien keine offiziellen Kanäle der KDW, sagte mir KDW-Mitglied Sven Sebastian Horner, der klarstellt: „Es wird bei uns auch viel dezentral kommuniziert.“

Auch Die Rote Fahne Gruppe mobilisierte wieder – nach eigenen Angaben unabhängig von der KDW – über ihre Medien mit der Losung „Steh auf, Du bist nicht allein. Demokratiebewegung 18. April 15 Uhr. JA zu Demokratie und Grundrechten! NEIN zu Aussetzung, Einschränkung und Abbau der Grundrechte!“

Wie auch zu den vorausgegangen Samstagen mobilisierten mit demselben Ziel (Verteidigung der Grundrechte) und an denselben Ort (Rosa-Luxemburg-Platz) Die Rote Fahne Gruppe zu 15:00 Uhr und die KDW zu 15:30 Uhr.

Bereits letzte Woche zeigte sich bei einigen wenigen Demonstranten eine gewisse Aufmüpfigkeit gegenüber der Polizei. Heute kam es sogar zu vereinzelten Polizistenbeschimpfungen und zu Widerstand gegen die Staatsgewalt. Das war unschön und die KDW verurteilt vielleicht noch nicht deutlich genug Aggression gegen Polizisten.

Polizistenbeschimpfungen gehen gar nicht! Denn Polizisten sind ,wie die anderen 99 Prozent auch, Opfer der Verhältnisse und folgen einfach nur den Befehlen der herrschenden Klasse, um ihren Familien Brot nach Hause zu bringen.

Heute nahm die Aggression gegen Polizeibeamte spürbar zu. Aber das war nicht einmal das Schlimmste am heutigen Tage auf einer Demo, auf der sich ein Linker nicht mehr wohlfühlen konnte.

Unter den laut Polizeiangaben 500 Teilnehmenden waren bekannte Rechte. Und Rechte, die durch in der Szene bekannte Symbole wie Tätowierungen und Aufdrucke auf ihren Kleidungsstücken für jedermann sichtlich ihre Gesinnung demonstrierten.

Daß im Scheunenviertel, in dem am 05.11.1923 während der Inflation schon der erste Pogrom gegen Juden stattfand, Rechte in großer Zahl aufmarschieren, das ist ein Skandal ohnegleichen. Mindestens ein Teilnehmer trug eine gelbe „Judenstern“-Binde am Oberarm. Eine mutmaßliche Relativierung der Judenverfolgung am historischen Ort des Scheunenviertelpogroms. „Eine klare Verharmlosung der antisemitischen Politik im Natisonalsozialismus“, sagt das Recherche-& Informationsstelle Antisemitismus RIAS.

Quelle: Report_Antisem/status/1251533017857904641 – (c) 2020 RIAS Bundesverband e. V. mit Sitz in Berlin

Daß im traditionell links orientierten Scheunenviertel Rechte aufmarschieren, das ist ein Politikum, das Berlin erschüttert. Nicht nur die Volksbühne im Scheunenviertel ist ein linker Ort, sowie auch ihre Vorgängerinnen, die Freie Volksbühne und die Neue Freie Volksbühne, sondern auch etliche linke Kneipen und Hausprojekte, die Redaktion der Tageszeitung Junge Welt und das Karl-Liebknecht-Haus, dem einstigen Hauptsitz der KPD und heutiger Sitz der Landesparteizentrale der LINKEN. Unter dem Dach des Karl-Liebknecht-Hauses hatten Künstler wie John Heartfield und Max Gebhard ihre Ateliers.

Daß ausgerechnet Rechte die Möglichkeit haben, sich an so einem zentralen Ort der linken Szene und der historischen Judenverfolgung, die nach der Weimarer Republik in der Zeit des nationalsozialistischen Terrorregimes zur Ermordung von circa sechs Millionen Juden führte, zu treffen, gar vor der Volksbühne aufzumarschieren, muss jeden wütend machen, dessen Herz links schlägt.

Wäre nicht Corona, wären die Rechten gar nicht erst dort hingekommen. Das war eigentlich undenkbar, daß Rechte um das Räuberrad auf dem Rosa-Luxemburg-Platz aufmarschieren.

Die Aufrufenden zu diesen Demonstrationen, die KDW und Die Rote Fahne Gruppe, müssen sich jetzt mit klaren Botschaften deutlich distanzieren von Rechten!

Die KDW bezog letzte Woche bereits Stellung:

„In einer liberalen Demokratie bezieht sich der Begriff des Volkes auf ALLE anwesenden Menschen. Dies geht auch aus der liberalen Verfassung der Bundesrepublik selbst hervor: …gleich welcher Herkunft, welchen Geschlechtes, welcher Abstammung, Sprache, Heimat, Herkunft, Glauben, körperlicher Einschränkungen, Sexualität, Alter… oder spleenigen Neigungen — das Grundgesetz gilt für alle gleichermaßen und gleichberechtigtermaßen. Punkt. — Das ist wichtig zu wissen, falls irgendjemand behauptet, hier seien Rassisten am Werk. Nein dazu.“

Quelle: KDW-Newsletter Nr. 13 vom 11. April 2020

Allerdings wurde seitens der KDW versäumt, diese Botschaft auch über ihre anderen Kanäle zu lancieren (Zeitung, Chats, Internetseite, KenFM!). Wer wie die KDW sagt, daß ihre Kommunikation nicht zentral gesteuert sei, muss auf mehreren Kanälen simultan dieselbe Botschaft klar und deutlich transportieren. Auch auf die Gefahr der Redundanz hin. Denn Rechte und Rassisten aufzufordern abstand zu halten kann man nicht oft genug betonen.

Es darf nicht zugelassen werden, daß die Grundrechtedemos auch in Zukunft von Rechten gekapert werden. Doch eine solche deutliche Botschaft an alle Rechte: Bleibt weg! Wir wollen euch hier nicht! fehlt bisher. Ich fragte Lenz heute: „Sie haben die Büchse der Pandora geöffnet. War das beabsichtigt?“ Er antwortete: „Provokateure sind eingeschleust und nicht von uns. Die Büchse hat das Naotstands-Regime geöffnet, nicht wir. Wir stehen auf dem Boden der Verfassung.“

So eine Äußerung reicht nicht nach den heutigen Ereignissen im Scheunenviertel. Es wäre jetzt die Pflicht von Lenz und seinem Kollegium, sich von Rechten unmißverständlich zu distanzieren.

Es bleibt die Frage, warum Rechte kommen, wenn zu einer Demo aufgerufen wird, die sich ausdrücklich an Antifaschisten richtet? Und warum kommen nicht mehr Linke, wenn die Mobilisierung sich an Antifaschisten richtet?

Eine Antwort könnte sein: Die Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstands hat falsch kommuniziert. Mit KenFM hat Lenz von der KDW mindestens zwei mal gesprochen. Das führte dazu, daß die KDW in Teilen der Linken so wahrgenommen wurde, als sei KenFM ein Sprachrohr der Bewegung. Auch wenn das nicht stimmen sollte: Damit war der Demokratische Widerstand in den Augen der Linkspartei, der Antifa, der Autonomen und des schwarzen Blocks verbrannt. Die mögen KenFM nicht. Daran änderte zuletzt auch keine Zeitung mit Agamben mehr etwas.

Wurde strategisch falsch kommuniziert oder ist die ganze Bewegung Lenz und seinem Kollegium über den Kopf gewachsten? Daß Rechte sich am Rosa-Luxemburg-Platz sammeln können ohne demokratischen Widerstand, ist ein Tiefpunkt in den an Tiefen reichen Coronazeiten. Zu normalen Zeiten wäre dies nicht mal einem Dutzend möglich gewesen.

Die sozialistsiche Zeitung „Die Rote Fahne“ gab in einem Zwischenbericht vom Rosa-Luxemburg-Platz bekannt: „Teilnehmerzahl zur Vorwoche nochmals verdoppelt, Polizei hat Demonstranten in zwei Blöcke an den Seiten des Platzes geteilt, Sprechchöre und Trommeln, Einzelne, teils brutale, Festnahmen“. Zu nächster Woche ruft ihr Chefredakteur Stephan Steins wieder zur Versammlung um 15 Uhr auf dem Rosa-Luxemburg-Platz: „Am kommenden Samstag werden die Proteste der Demokratiebewegung weiter gehen. Pflanzt eure roten Banner der Arbeit auf jeden Acker, auf jede Fabrik!“

Das ist keine Distanzierung von Rechten. An Die Rote Fahne Gruppe und an die KDW: Distanziert euch von den Rechten!

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  5. […] Aufforderung zur Distanzierung von Rechten, wie sie der freie Journalist Martin Lejeune auf www.martinlejeune.de/distanziert-euch-von-rechtenverbreitet, ist noch keiner der Veranstalter […]

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