Dokumentation Fall Judy S. – Stand: 12.07.2025
Der Fall Judy S. zeigt, was Haßrede in sozialen Netzwerken anrichten kann, vor allem nachdem Boulevardzeitungen diese ungeprüft verbreiteten und Judy S. als Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren an den Medien-Pranger stellten. Der Tagesspiegel machte den Fall zum Aufmacher auf seiner Titelseite. Seine Schlagzeile «Die verlorene Ehre der Judy S.» erinnerte an die Erzählung «Die verlorene Ehre der Katharina Blum» von Heinrich Böll. Rechtsanwalt
Kapitel 1: Die Chronologie
01.11.2024
- Die Beschäftigten der Polizei Berlin wählen ihre Vertretungen, unter anderem den Gesamtpersonalrat. Die 27-jährige Polizeimeisterin Judy S. kandidiert als Unabhängige für das Amt der Stellvertreterin der Gesamtfrauenvertreterin.
11.11.2024
- Judy S. stürzt sich ins Berliner Nachtleben. Laut Polizei und Staatsanwaltschaft soll sie in dieser Nacht mutmaßlich einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz begangen haben. Für die Beschuldigte gilt die Unschuldsvermutung bis zu einer etwaigen rechtskräftigen Verurteilung.
12.11.2024
- Die Polizei Berlin berichtet in ihrer Polizeimeldung Nr. 2291 von mutmaßlichen Straftaten, die eine 27-jährige Polizeibeamtin am 11.11.2024 begangen haben soll. Die Beschuldigte bleibt in der Polizeimeldung anonym.
- Die Polizei Berlin postet einen Beitrag zu ihrer Polizeimeldung auf der Plattform X.
20.11.2024
- Judy S. wird als Unabhängige zur zweiten Stellvertreterin der Gesamtfrauenvertreterin gewählt und hat eine Woche lang Zeit, die Wahl anzunehmen.
- Eine Mitarbeiterin der Polizei ruft bei der für Haßkriminalität zuständigen Stelle beim Landeskriminalamt an und stellt Anzeige wegen Hetze gegen Judy S., mit Verweis auf X-Postings, gestreute Gerüchte und behördeninterne Vorfälle wie mit Bart und Penis übermalte Wahlplakate in einigen Dienststellen.
23.11.2024
- BILD und B.Z. berichten über die gewählte Judy S. und outen sie öffentlich als die beschuldigte 27-jährige Polizeibeamtin aus der Polizeimeldung Nr. 2291. Die identifizierende Berichterstattung geschieht etwa durch die Abbildung von nur leicht im Augenbereich verpixelten Porträt-Fotos und die Nennung ihres Vornamens und des ersten Buchstabens ihres Nachnamens. Zudem berichten BILD und B.Z. mehrere Falschbehauptungen über Judy S., unter anderem, daß sie einen Penis und zwei Bundespolizisten mit einer Penispumpe mißhandelt habe.
- Polizeidirektor Florian Nath telefoniert mit einem Mitglied der BILD-Chefredaktion und weist es ausdrücklich auf die veröffentlichten Falschbehauptungen über Judy S. hin. BILD-Sprecher Christian Senft widerspricht, den Anruf habe es nicht gegeben.
- NIUS berichtet falsche Behauptungen über Judy S.
- Auch der Schweizer Blick berichtet falsche Behauptungen über Judy S.
- Die Polizei Berlin bittet in einem Posting auf X, «Vorurteile und diskriminierende Narrative zu vermeiden».
24.11.2024
- FOCUS-Online berichtet falsche Behauptungen über Judy S.
25.11.2024
- BILD und B.Z. publizieren weitere Berichte mit Falschbehauptungen über Judy S.
- Der Berliner Kurier berichtet falsche Behauptungen über Judy S.
- Die Polizei Berlin leitet eine interne Ermittlung ein gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf Verletzung von Dienstgeheimnissen, weil Informationen aus Ermittlungsverfahren gegen Judy S. in die BILD-Redaktion gelangen.
26.11.2024
- Die Schweizer Weltwoche berichtet falsche Behauptungen über Judy S.
- Der Kanal «Boris von Morgenstern» publiziert ein elfminütiges Video, das Falschbehauptungen über Judy S. enthält.
27.11.2024
- Bis heute muss Judy S. entscheiden, ob sie die Wahl annimmt.
- BILD publiziert einen weiteren Bericht mit falschen Behauptungen über Judy S. und skandalisiert, daß ein «Mann» nun die Frauen in der Polizei vertrete.
- NIUS verbreitet einen weiteren transphoben Beitrag mit Falschbehauptungen über Judy S.
28.11.2024
- Nath legt die Berichterstattungen der BILD und B.Z. beim Polizeilichen Staatsschutz zur Prüfung auf Haßkriminalität vor.
05.12.2024
- Judy S. beantragt vor der Zivilkammer 28 des Landgerichts Köln eine einstweilige Verfügung gegen die Axel Springer Deutschland GmbH auf Untersagung der veröffentlichten Berichterstattungen.
20.12.2024
- Die BILD-Redaktion entschuldigt sich zum ersten Mal bei Judy S. für «handwerkliche Fehler».
30.01.2025
- Die Staatsanwaltschaft Berlin stellt das Ermittlungsverfahren gegen Judy S. wegen eines mutmaßlichen Sexualdelikts ein.
14.03.2025
- BILD entschuldigt sich zum zweiten Mal bei Judy S. und berichtet erstmals: «Es gab keinen hinreichenden Tatverdacht gegen die ehemalige Beschuldigte».
18.03.2025
- Der Beschwerdeausschuß 1 des Deutschen Presserates rügt öffentlich BILD und B.Z. wegen «vorverurteilender Berichterstattung».
20.03.2025
- Der Tagesspiegel berichtet ausführlich über den Fall.
- Die Deutsche Polizeigewerkschaft Berlin kritisiert den Tagesspiegel.
21.03.2025
- Marion Horn, Vorsitzende der BILD-Chrefredaktionen, wendet sich in einem Rundbrief an ihre Mitarbeiter.
23.03.2025
- Die Deutsche Gesellschaft für Trans- und Intergeschlechtlichkeit e.V. (dgtis) postet: «Trans* feindliche Hetzkampagne gegen Berliner cis Polizistin Judy S. entpuppt sich als Intrige und Falschnachricht.
24.03.2025
- Der Innenausschuss im Abgeordnetenhaus von Berlin bespricht den Fall.
26.03.2025
- Ein Ehepaar stellt vor der Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Verlag Der Tagesspiegel GmbH.
- Eine Person der Deutschen Polizeigewerkschaft stellt vor der Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin II einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Verlag Der Tagesspiegel GmbH.
27.03.2025
- Eine Schriftliche Anfrage im Abgeordnetenhaus von Berlin befasst sich mit dem Fall.
15.04.2025
- Die Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin II untersagt der Verlag Der Tagesspiegel GmbH die Verbreitung ihrer Berichterstattung über eine Person der Deutschen Polizeigewerkschaft.
16.04.2025
- Horn äußert sich auf LinkedIn über den Fall Judy S.
17.04.2025
- BILD entschuldigt sich zum dritten Mal bei Judy S. und publiziert eine «Richtigstellung», die erstmals auch in der B.Z. erscheint.
- Nath löscht die Polizeimeldung Nr. 2291 vom 12.11.2024 und das X-Posting dazu vom selben Tag.
- Der Senat des Landes Berlin beantwortet die Schriftliche Anfrage vom 27.03.2025.
07.05.2025
- Die Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg weist den Antrag eines Ehepaars auf einstweilige Verfügung gegen die Verlag Der Tagesspiegel GmbH zurück.
12.05.2025
- Horn spricht zu Mitarbeitern über den Fall Judy S.
15.05.2025
- Gegen den Beschluss der Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg vom 07.05.2025 legt das Ehepaar sofortige Beschwerde ein.
12.06.2025
- Der 7. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts ändert den Beschluss der Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg vom 07.05.2025 zugunsten einer Antragstellerin ab.
20.06.2025
- Der Rechtsanwalt von Nadine T. mahnt mich ab auf Unterlassung.
23.06.2025
- Der Beschwerdeausschuß 1 des Deutschen Presserates mißbilligt FOCUS-Online.
08.07.2025
- Der Deutsche Presserat rügt öffentlich BILD wegen eines «schweren Interessenkonflikts».
Kapitel 2: Die Kandidatin
Landesgleichstellungsgesetz schuf Grundlage für öffentliches Amt der Gesamtfrauenvertreterin
Die Beschäftigten der Polizei Berlin wählten im November 2024 die Gesamtfrauenvertreterin und ihre Stellvertreterin. Diese vertreten die Interessen und Belange der weiblichen Beschäftigten. Sie sind ein wichtiges Bindeglied zwischen den Mitarbeiterinnen, der Dienststellenleitung und der Personalvertretung. Sie fördern zudem die Geschlechtergerechtigkeit in der Behörde. Im Landesgleichstellungsgesetz (LGG), das die Einrichtungen des Landes Berlin zur Gleichstellung von Frauen und Männern sowie zur aktiven Frauenförderung verpflichtet, steht: «Die Gesamtfrauenvertreterin ist zuständig: 1. für die Beteiligung an den Angelegenheiten, an denen der Gesamtpersonalrat […] zu beteiligen ist, 2. für die Beteiligung bei allen sozialen, organisatorischen und personellen Maßnahmen, für die die Zuständigkeit einer Frauenvertreterin nicht gegeben ist, 3. für Angelegenheiten, für die die Zuständigkeit des Hauptpersonalrats […] begründet wurde.»
Gewerkschaften unterstützten öffentlich Wahlkämpfe von Kandidatinnen
Vor den Wahlen im November 2024 wurden einige der Kandidatinnen in ihren Wahlkämpfen öffentlich unterstützt durch Gewerkschaften, die strategisch wichtige Posten in der Behörde mit ihren Frauen besetzen wollen und dabei unterschiedliche Wertvorstellungen vertreten. Durch die Annahme der Wahlkampfhilfen gingen die Kandidatinnen eine moralische Verpflichtung ein gegenüber den Gewerkschaften, die ihre Wahlkämpfe unterstützten.
Gewerkschaft der Polizei (GdP)
Die progressive Gewerkschaft der Polizei (GdP) Landesbezirk Berlin, die Mitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ist, unterstützte Polizeioberkommissarin Sibylle Krause öffentlich in ihrem Wahlkampf für das Amt der Gesamtfrauenvertreterin und Polizeihauptkommissarin Verena Steinke öffentlich als ihre Stellvertreterin. Krause war während des Wahlkampfes stellvertretende Landesvorsitzende der GdP Berlin und Mitglied des geschäftsführenden GdP-Bundesvorstandes. Steinke engagierte sich während des Wahlkampfes in der Bezirksgruppe Direktion 2 (West) der GdP Berlin.
Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG)
Die konservative Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) Landesverband Berlin, die im Beamtenbund und Tarifunion (DBB) organisiert ist, unterstützte Polizeikommissarin Angélique Yumuşak öffentlich in ihrem Wahlkampf für das Amt der Gesamtfrauenvertreterin und Nadine T. öffentlich als ihre Stellvertreterin. Yumuşak war während des Wahlkampfes Beisitzerin Frauen der DPolG Berlin und Bundesfrauenbeauftragte der DPolG Bund. Nadine T. war während des Wahlkampfes stellvertretende Beisitzerin Frauen im Landeshauptvorstand der DPolG Berlin.
Judy S. wollte als Unabhängige die Interessen von Frauen vertreten
Als Unabhängige kandidierten Bianka Popig für das Amt der Gesamtfrauenvertreterin und Judy S. als ihre Stellvertreterin. Die Unabhängigen verzichten in ihren Wahlkämpfen ganz bewußt auf die Unterstützung durch Gewerkschaften, um nach der Wahl ihr Amt unabhängig von gewerkschaftlichen Interessen ausführen zu können. So manchem Gewerkschaftsfunktionär sind die Unabhängigen daher ein Dorn im Auge, weil sie sich der politischen Einflussnahme durch Gewerkschaften entziehen und in der Polizei entsprechend unabhängig agieren.
Am Anfang des Falls Judy S. stand die Polizeimeldung Nr. 2291
Mitten in der heißen Phase des Wahlkampfes publizierte die Polizei Berlin am 12.11.2024 unter dem pikanten Titel «Sexualdelikt – Durchsuchung bei Polizeibeamtin» die Polizeimeldung Nr. 2291: «Einsatzkräfte der Polizei Berlin durchsuchten gestern Abend aufgrund eines richterlich erwirkten Durchsuchungsbeschlusses die Wohnung einer 27-jährigen Polizeibeamtin, nachdem sich zuvor zwei Geschädigte auf einem Polizeiabschnitt gemeldet und Anzeige erstattet hatten. Die zwei geschädigten Personen hatten hierbei angegeben, gemeinsam mit weiteren Personen in der Wohnung der Schutzpolizistin gewesen zu sein. Im Rahmen des Zusammenseins seien die zwei Betroffenen unter Drogen gesetzt worden. Anschließend sollen ohne ihr Einverständnis an ihnen sexuelle Handlungen vorgenommen worden sein. Die Durchsuchungsmaßnahmen verliefen mit Erfolg. Die eingeleiteten Ermittlungen werden von einem Fachkommissariat für Sexualdelikte sowie einem Kommissariat für Beamtendelikte beim Landeskriminalamt geführt. Disziplinarrechtliche Maßnahmen werden eingeleitet, stehen jedoch in Abhängigkeit vom Ausgang des Strafverfahrens.» Am 30.01.2025 stellte die Staatsanwaltschaft Berlin das Verfahren wegen des Vorwurf des Sexualdelikts ein. Bezüglich des Verdachts des Drogendelikts gilt für die Beschuldigte die Unschuldsvermutung bis zu einer etwaigen rechtskräftigen Verurteilung.
Polizei postete den brisanten Fall auch auf X
Die Polizeimeldung war zunächst nur eine unter vielen, welche die Polizei Berlin wie jeden Tag auf ihrer Internetseite veröffentlichte und Journalisten in ihrem Presseverteiler schickte. Die Polizeimeldung nahm keinen Bezug auf die Vertretungswahlen und teilte zu den persönlichen Angaben der beschuldigten Polizeibeamtin lediglich ihr Geschlecht und Alter mit. Die Angabe des Geschlechts und des Alters von Beschuldigten ist gängige Praxis in Meldungen der Polizei Berlin. Zu dieser Meldung hatte die Polizei Berlin allerdings am selben Tag einen Beitrag auf X veröffentlicht: «Unsere Einsatzkräfte durchsuchten gestern Abend mit richterlichem Beschluss die Wohnung einer 27-jährigen Polizeibeamtin. Zuvor meldeten sich zwei Personen auf einem Polizeiabschnitt und gaben an, gemeinsam mit anderen in der Wohnung der Polizeibeamtin gewesen zu sein. Die beiden Personen seien dort unter Drogen gesetzt worden. Im Anschluss sollen ohne Einverständnis sexuelle Handlungen an ihnen vorgenommen worden sein. Die Durchsuchungsmaßnahmen verliefen mit Erfolg. Unser #LKA ermittelt.» Die Angabe des Geschlechts und des Alters von Beschuldigten in X-Postings ist ebenfalls gängige Praxis bei der Polizei Berlin.
X-Posting diente als Brandbeschleuniger
Jedoch veröffentlicht die Polizei Berlin nicht zu jeder Polizeimeldung einen X-Beitrag. Hier trifft das Team Social Media der Polizei Berlin eine Auswahl. Durch das Posting auf X erhielt die Meldung zusätzliche Reichweite. Der X-Beitrag zur Polizeimeldung wurde innerhalb von 22 Stunden über 232.900 mal gesehen. Vielleicht wäre die Meldung (zum späteren Fall Judy S.) ohne das X-Posting untergegangen in der Vielzahl an täglichen Polizeimeldungen. Am 12.11.2024 wurde der X-Beitrag der Polizei zum Beispiel von Tom zunächst noch relativ harmlos kommentiert: «Das ist doch eine Szene aus ‹Pulp Fiction›». Nutzer BLona bemerkte: «ich habe Fragen, fürchte aber die Antworten». Noch wurde von einigen Nutzern das feminine Geschlecht der Beschuldigten betont, wenn auch bereits mit sexistischen Andeutungen wie durch Systemsprenger am 12.11.2024: «Ich steh auf Frauen in Uniform. Kann ich mal ihre Telefonnummer haben». Sven meinte am 13.11.2024: «Auch Frauen können Schweine sein».
X-Postings verbreiteten Haßrede gegen Judy S.
Nutzer negierten schon bald die Weiblichkeit der Polizistin. So phantasierte Angelika Blaum am 13.11.2024: «Das glaubt ja wohl niemand, daß es sich bei dieser Beamtin und dieser Art Verbrechen um eine tatsächlich weibliche Polizistin handelt. Wegen Offenbarungsverbot dürfen nun aber solche Meldungen keinen Hinweis mehr auf das wahre Geschlecht des Sexualstraftäters erfolgen, wenn der seinen Geschlechtseintrag geändert hatte. Da bleibt uns nur noch, solche Fälle im Auge zu behalten und auf einen Artikel zu hoffen, der ein Bild der ‹Täterin› enthält. Schädel lügen nicht.» Und auch Liberta mißtraute der Polizeimeldung: «Habe den Text jetzt fünf Personen vorgelesen und alle sagten es handle sich bei der Beamtin mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Mann… Wokeness hat immerhin dazu geführt, daß Menschen Polizeimeldungen nicht mehr trauen».
«Man fragt sich ja schon, ob die Polizistin einen Penis hat»
Gregor fragte rhetorisch: «Es war also…. ein Mann?». Marie höhnte: «ist es eine Beamtin oder ‹Beamtin› ohne Menstruationshintergrund?» Melli meckerte: «In den Kommentaren 90% Zweifel an der Meldung bzgl Geschlecht. Zwei Wochen nach Einführung des #Selbstbestimmungsgesetz kein Wunder. Das Vertrauen ist zerstört. Danke für nichts.» Der Nutzer Bummerer klagte: «Solche Meldungen sind keinen Pfifferling mehr wert, solange man nicht weiß, ob die ‹Polizeibeamtin› ein Mann oder eine Frau ist.» Und Loretta spekulierte am 14.11.2025: «Man fragt sich ja schon, ob die Polizistin einen Penis hat». Nach den ersten Berichterstattungen über Judy S. durch BILD und B.Z. am 23.11.2024, drei Tage nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse, brachen auf X alle Dämme und Nutzer teilten Fotos der BILD-Berichte über Judy S. auf X.
«Das war keine Beamtin, sondern ein verkleideter Mann»
Mehrere Nutzer beharrte darauf, daß die erfundenen Falschbehauptungen über Judy S. in Wirklichkeit wahr wären und machten Stimmung gegen die Polizei Berlin, der vorgeworfen wurde, in ihrer Kommunikation nach Außen zu lügen bzw. die vermeintliche Enthüllung der BILD mit angeblicher Lügenpropaganda vertuschen zu wollen. Zum Beispiel unterstellte Livia am 23.11.2024: «Die @polizeiberlin versteckt jeglichen Hinweis auf das wahre Geschlecht.» Und Volljurist Christian tönte: «Das ist der eigentliche Skandal: @polizeiberlin wird von vielen als Informationsaccount wahrgenommen. Kein Wort über den Hintergrund zu verlieren & den Täter als ‹Polizistin› zu klassifizieren hat mit Information nichts zu tun». Am 24.11.2024 forderte Nutzer woke=smoke: «@polizeiberlin, es ist ein Mann, der sich als Frau bezeichnet, der diese sexuellen Gewaltverbrechen begangen hat. Ein Mann! Und keine Frau! Bitte korrigieren Sie das für Ihre Kriminalstatistik». Und Franz war sich am 25.11.2024 gewiß: «Das war keine Beamtin, sondern ein verkleideter Mann».
So reagierte die Polizei auf Haßrede
Laut Polizeidirektor Florian Nath, der im November 2024 nur wenige Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Judy S. neuer Pressesprecher der Polizei Berlin wurde, kämpfte das Team Social Media (tsm) seiner Behörde gegen die Haßrede auf X an: «Unter dem polizeieigenen X-Beitrag wurden zahlreiche Antworten verborgen, sofern sie nach Einschätzung der Polizei Berlin nicht mehr der allgemeinen Meinungsfreiheit unterlagen. Bei eigenständigen Mentions ist das auf X jedoch nicht möglich.» Dem Nutzer Hauptstadtbeamter reichte das nicht: «Die Haßkommentare unter dem ‹auslösenden› Post der @polizeiberlin vom 12. November 2024 hat das ^tsm immer noch nicht ausgeblendet, obwohl es mehrmals darauf hingewiesen wurde. Aber hey, demnächst hissen sie wieder stolz die Rainbow Flag.»
Polizei postete auf X einen Aufruf zur Mäßigung
Am 23.11.2024 veröffentlichte die Polizei «in Absprache mit den Vorgesetzten der tatverdächtigen Polizeibeamtin umgehend und aktiv», so Nath, einen weiteren X-Beitrag zur Meldung Nr. 2291 mit der Bitte, Falschbehauptungen zu unterlassen und die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen zu wahren. Der Wortlaut des X-Beitrags vom 23.11.2024 lautete: «Zu einem Ermittlungsverfahren, das wir bereits am 12.11. offiziell bekannt gegeben haben, kursieren in den Medien und im Netz diverse Gerüchte über Tathergang und Beteiligte. Bis zu einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung gilt auch hier die Unschuldsvermutung. Die Polizeibeamtin befindet sich aktuell nicht im Dienst, auch ein Disziplinarverfahren wurde eingeleitet. Wir bitten Sie, ihre Persönlichkeitsrechte und auch die der weiteren Beteiligten zu wahren, Vorurteile und diskriminierende Narrative zu vermeiden.» Der gut gemeinte Post der Polizei machte es teilweise noch schlimmer und erntete Kommentare wie «Sind Penispumpen bei euch dienstlich geliefert?» von Marcus Pretzell oder «Es ist gelinde ausgedrückt eine Unverschämtheit, eine durch einen Mann begangene Straftat als eine durch eine Frau begangene Straftat darzustellen.» (Glasmurmel). Der X-Beitrag vom 23.11.2024 wurde bis heute 97.247 mal gesehen und hat somit weniger als die Hälfte an Aufrufen als der erste X-Beitrag vom 12.11.2024 innerhalb von 22 Stunden erhielt.
Polizeisprecher rief bei der BILD-Chefredaktion an
Nath sagte zu den Maßnahmen, die er nach den Veröffentlichungen der Falschberichte in BILD und B.Z. ergriff, er habe «mehrfach telefonisch darauf hingewiesen, daß die Inhalte der Berichterstattung über die erste Polizeimeldung der Polizei hinaus in den von der BILD veröffentlichten Details insgesamt nicht zutreffend sind». Auf die konkrete Nachfrage hin, mit wem er telefoniert habe, entgegnete Nath: «Von hier aus wurde mit einem Mitglied der Chefredaktion der veröffentlichenden Zeitung gesprochen und auf die Falschbehauptungen hingewiesen.»
BILD-Sprecher widersprach Polizeisprecher
Ein BILD-Sprecher widersprach diesen Angaben des Polizeisprechers. Auf die Frage, wer in der Chefredaktion einen Anruf von der Pressestelle der Polizei Berlin erhalte habe, antwortete der BILD-Sprecher Christian Senft: «Niemand. Die Polizei wurde vor der Veröffentlichung der Texte mit dem Vorwurf konfrontiert und um eine Stellungnahme gebeten, sie hatte sich dazu nicht geäußert. Ein nach Medienberichten anscheinend erfolgter telefonischer Hinweis dazu hatte redaktionell Verantwortliche nicht erreicht.» Nath erwiderte daraufhin, er wisse ja, mit wem er telefoniert habe, und blieb bei seiner Darstellung.
Staatsschutz prüfte Berichterstattung auf Haßkriminalität
Die Pressestelle der Polizei legte die gesamte Berichterstattung dem Polizeilichen Staatsschutz beim Landeskriminalamt (LKA) zur Prüfung auf Haßkriminalität vor. «Diese Vorlage ist durch mich im Zuge der Berichterstattung der BILD/B.Z. beim LKA Berlin (Polizeilicher Staatsschutz) gegen die für den Berichtinhalt verantwortliche Redakteurin erfolgt», bestätigte Nath. Die Prüfung habe ergeben, daß die Berichterstattung keine Haßkriminalität enthalten habe und die «verantwortliche Redakteurin» entlastet sei.
Beschäftigte wählten Judy S. zur ihrer Vertreterin
Am 20.11.2024 wurde die von der GdP Berlin unterstützte Sibylle Krause wiedergewählt als Gesamtfrauenvertreterin. Die von der GdP Berlin unterstützte Verena Steinke wurde ihre Stellvertreterin. Die Unabhängige Judy S. wurde mit 638 Stimmen zur zweiten Stellvertreterin gewählt. Bei den Wahlen zum Gesamtpersonalrat erhielt die GdP Berlin 4.394 Stimmen, die DPolG Berlin 1.967 Stimmen und Unabhängige 672 Stimmen. Die gewählten Vertreterinnen hatten eine Woche Zeit, die Wahl anzunehmen. In diese Woche fielen alle Berichterstattungen der BILD und B.Z. über Judy S.
Polizei begann erst fünf Tage nach Anzeige mit Ermittlungen
Am 20.11.2024 rief eine Mitarbeiterin der Polizei bei der für Haßkriminalität zuständigen Stelle beim LKA an und stellte Anzeige wegen Hetze gegen Judy S., mit Verweis auf die Plattform X, gestreuten Gerüchte und behördeninterne Vorfälle wie mit Bart und Penis übermalte Wahlplakate in einigen Dienststellen. Die Polizei Berlin begann erst am 25.11.2024 mit den Ermittlungen.
Bündnis 90/Die Grünen thematisierten Judy S. im Innenausschuss
Am 24.03.2025 beschäftigte Judy S. den Innenausschuss im Abgeordnetenhaus von Berlin. Während der laufenden Sitzung meldete die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Ausschußvorsitzenden Florian Dörstelmann (SPD) ein besonderes Vorkommnis, das nicht auf der Tagesordnung stand: «Stimmt es, daß im Rahmen der Wahl der Gesamtfrauenvertretung bekannt wurde, daß Aushänge für eine Kandidatin mit Bart und Penis übermalt wurden und welche Maßnahmen wurden gegen Trans- und Queer-feindliches Verhalten innerhalb der Polizei unternommen, welches mutmaßlich durch die Deutsche Polizeigewerkschaft forciert wurde, wie der Berichterstattung des Tagesspiegels zu entnehmen ist?» Der Abgeordnete Vasili Franco (Bündnis 90/Die Grünen) fragte unter Bezugnahme auf den Tagesspiegel-Bericht vom 20.03.2025, ob gegen eine «Person von der Deutschen Polizeigewerkschaft» ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei? Der Tagesspiegel brachte diese Person laut eines Urteils des Landgerichts Berlin II zu Unrecht in Verbindung mit dem Rufmord gegen Judy S.
DPolG Berlin kritisierte Tagesspiegel
Die DPolG Berlin kritisierte in einer Pressemitteilung vom 20.03.2025 die Berichterstattungen des Tagesspiegels, «die ohne fundierte Fakten über die Arbeit und die Entscheidungen der DPolG [Berlin] und ihrer Vertreter spekulieren. In einer Zeit, in der präzise Informationen und verantwortungsvolle Berichterstattung von größter Bedeutung sind, ist es unerlässlich, daß die Öffentlichkeit auf verlässliche Quellen zugreifen kann. Folgende Punkte möchten wir klarstellen:
- Die DPolG Berlin hat sich zu dem Sachverhalt nie geäußert und wird dies auch nicht tun.
- Es handelt sich um unseriösen Journalismus, da ohne fundierte Fakten spekuliert wird, was die DPolG Berlin und ihre Vertreter angeblich falsch gemacht haben.
- Der DPolG Berlin sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten von Funktionsträgern der DPolG Berlin bekannt. Der Tagesspiegel behauptet dies auch nicht, sondern bleibt in seiner Formulierung ‹Eine Rolle sollen dabei auch Funktionäre der DPolG Berlin spielen› vage.
- Da sich diese Vorverurteilung ohne Fakten schon in den Presseanfragen abzeichnete, haben wir einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung unserer Interessen betraut. Dieser hat klargestellt, daß der DPolG Berlin nichts vorzuwerfen ist und man diesen Eindruck auch nicht erwecken darf.
- Soweit unwahre Behauptungen über konkrete Mitglieder der Gewerkschaft oder aus dem Vorstand der DPolG Berlin gemacht, oder sie persönlich angegriffen werden, steht der Landesverband bereit, diese juristisch zu unterstützen.»
Polizeipräsidentin sprach über Judy S. im Innenausschuss
Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel sprach am 24.03.2025 im Innenausschuss erstmals öffentlich über Judy S. und erwähnte dabei auch die Wahlplakate von Judy S., die mit Haßrede beschmiert wurden: «[…] im Hinblick auf die in Rede stehenden Plakate kann ich Ihnen lediglich sagen, daß durch uns ein Ermittlungsverfahren geführt wird, […] daß wir als Polizei Berlin gegen jede Form von Hetze und Ausgrenzung einschreiten und das gilt selbstverständlich auch gegen Hetze und Ausgrenzung von unseren eigenen Kolleginnen und Kollegen. Egal aus welchem Grund sie erfolgt. Im Nachgang zu der falschen und ehrverletzenden Presseberichterstattung wurde daher in einem Post des Teams Social Media der Polizei Berlin dringend dazu aufgefordert, unwahre Behauptungen zum Nachteil der Beamtin zu unterlassen. Auch der Pressesprecher hat immer wieder in verschiedenen Statements darauf hingewirkt. Hinsichtlich der Herausgabe von Informationen an die Presse haben wir ein Verfahren wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen eingeleitet.
Mit der Kollegin selbst haben wir durch diverse Telefonate und persönliche Treffen jeweils die aktuelle Lage besprochen und ihr jede durch die Polizei leistbare Hilfe angeboten. Daß eine entsprechende deutliche Gegendastellung in der Presse erfolgt ist, halte ich für äußerst wichtig und es freut mich auch, daß so hoffentlich vieles ausgeräumt worden ist, auch wenn es nach wie vor natürlich sehr belastende Folgen hat für die Kollegin […] Die Fürsorge für die Kollegin war jederzeit gegeben aus unserer Sicht mit allem, was wir anbieten konnten. Deswegen vermag ich jetzt keine offensichtlichen Defizite bei der Polizei Berlin, wenngleich bei anderer Seite im Bereich der Presse schon zu erkennen».
Staatssekretär forderte im Ausschuß mehr Schutz für Betroffene
Christian Hochgrebe (SPD), Staatssekretär für Inneres des Landes Berlin in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, sagte im Innenausschuss zum Fall Judy S., ihm sei der Schutz queerer Menschen vor Haß ein Anliegen von allerhöchster Priorität. Es gebe für Betroffene interne Ansprechpersonen in der Polizei Berlin. Diese würden auch dafür sorgen, daß LGBTQ-feindliche Delikte besser erfasst würden.
Diversity-Ansprechpersonen in der Polizei
1992 schuf die Polizei Berlin zum Schutz der Beschäftigten vor Mobbing oder Diskriminierung einen Ansprechpartner für Sexuelle Vielfalt. 2006 kam zusätzlich eine Ansprechpartnerin dazu. Beide Ansprechpersonen für Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche Menschen erhielten hauptamtliche Stellen. Sie stehen trans- und intersexuellen Menschen zur Beantwortung von Fragen hinsichtlich ihres Outings zur Verfügung, im Bedarfsfall wird an das Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiternetzwerk des Vereins lesbischer und schwuler Polizeibediensteter (VelsPol e.V.) weiter vermittelt. VelsPol e.V. hat sich nach einer schriftlichen Anfrage nicht zum Fall Judy S. geäußert. Betroffenen bietet die Sozialbetreuung und der Polizeipsychologische Dienst der Polizei Berlin Beratungsgespräche. 2015 etablierte die Polizei Berlin ein zentrales Diversity Büro, das mit den jeweiligen Fachdienststellen zu einzelnen Diversitydimensionen zusammenarbeitet.
Die Linke stellte Schriftliche Anfrage zu Judy S.
Am 27.03.2025 stellten die Abgeordneten Niklas Schrader und Klaus Lederer (beide: Die Linke) eine Schriftliche Anfrage mit dem Titel: «Verleumdungskampagne gegen Polizistin durch BILD, NIUS und Polizeibeschäftigte» (Drucksache S19/22197), die ebenfalls den Tagesspiegel-Bericht vom 20.02.2025 zitierte. Der Senat von Berlin antwortete am 17.04.2025 auf die Frage: «Hat der Senat in dieser Angelegenheit das Gespräch mit der DPolG Berlin gesucht und wenn ja, welche Position hat er in diesem Gespräch vertreten? Wenn nein: Warum fand ein solches Gespräch bislang nicht statt?» wie folgt: «Nein. Die Aufarbeitung des Vorgangs dauert gegenwärtig noch an.»
Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt nicht nur gegen Judy S.
Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen Judy S. derzeit nur noch hinsichtlich eines mutmaßlichen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG), sagte Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner, Pressesprecher der Strafverfolgungsbehörden in Berlin. Gegen die Polizeimeisterin besteht seitens der Polizei Berlin weiterhin ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte.
Verfahren der Staatsanwaltschaft Berlin im Fall Judy S.
- Es gibt bzw. gab zwei Verfahren gegen Judy S. wegen des Verdachts eines Sexualdelikts (eingestellt) und wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (andauernd).
- Es gibt ein Verfahren gegen mögliche Verantwortliche der Axel Springer Deutschland GmbH wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz zum Nachteil von Judy S.
- Es gibt ein Verfahren gegen Unbekannt wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses, weil Details aus strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen Judy S. an die BILD-Redaktion durchgestochen wurden.
- Es gibt ein Verfahren gegen Unbekannt wegen Beleidigung zum Nachteil von Judy S. in Postings, größtenteils mit Bezug zum am 17.04.2025 gelöschten X-Beitrag der Polizei Berlin.
- Die Staatsanwaltschaft Berlin hat «nur nicht noch separat» ein Verfahren gegen Unbekannt wegen Haßkriminalität zum Nachteil von Judy S. eingeleitet.
Für alle Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung bis hin zu einer etwaigen rechtskräftigen Verurteilung.
Sohn des ehemaligen Polizeipräsidenten vertritt Judy S.
Judy S. wird anwaltlich vertreten durch Christian Schertz und Guido Fickenscher. Schertz ist der Sohn von Georg Schertz (90), der von 1987 bis 1992 Polizeipräsident in Berlin war. Judy S. beantragte am 05.12.2024 am Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung gegen die Axel Springer Deutschland GmbH auf Untersagung der veröffentlichten Berichterstattungen in Wort und Bild in deren gedruckten Zeitungen als auch auf deren Online-Auftritten (Az. 28 O 279/24). Das Verfahren hat sich ohne Entscheidung in der Sache erledigt, da die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Die Axel Springer Deutschland GmbH zahlte Judy S. eine Rekordentschädigung in Höhe von 150.000 Euro. Über Schertz stellte Judy S. auch eine Strafanzeige gegen mögliche Verantwortliche der Axel Springer Deutschland GmbH wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz. Die Prüfung eines Anfangsverdachts durch die Staatsanwaltschaft Berlin dauert an. Für Beschuldigte gilt die Unschuldsvermutung bis zu einer etwaigen rechtskräftigen Verurteilung.
Strafverteidiger von Judy S. ist Hochschullehrer der Polizei
Guido Fickenscher ist der Strafverteidiger von Judy S. Er lehrt Eingriffsrecht (Polizeirecht, Strafprozessrecht) an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Er ist spezialisiert auf die Strafverteidigung von Polizeibeamten. Fickenscher schreibt auf seiner Internetseite: «Ob und zu welchem Zeitpunkt es sinnvoll ist, auszusagen oder zunächst zu schweigen, muss frühestmöglich und detailliert mit dem beschuldigten Polizeibeamten besprochen, abgewogen und entschieden werden. Darüber hinaus müssen bei der Festlegung der Verteidigungsstrategie von Beginn an die disziplinar- und beamtenrechtlichen Auswirkungen mit ins Kalkül gezogen werden.» Judy S. steht laut Fickenscher derzeit nicht für ein Interview zur Verfügung.
Kapitel 3: Der Boulevard
Autorin der BILD- und B.Z.-Berichte engagierte sich in der Vergangenheit für die DPolG Berlin
Autorin der Berichte über Judy S. in BILD und B.Z. war die erfahrene Boulevard-Journalistin Nicole B., Verfasserin des Spiegel-Bestsellers «Höllenritt: Ein deutscher Hells Angel packt aus», die im November 2024 Redakteurin und Polizeireporterin der BILD-Zeitung war und zuvor bereits für Deutschlands führende Boulevard-Zeitungen B.Z., Berliner Kurier, Hamburger Morgenpost und Kölner Express schrieb. Sie ist verheiratet mit einem Funktionär der DPolG Berlin. Nicole B. soll die DPolG Berlin laut dem Tagesspiegel «in der Vergangenheit […] unterstützt haben», etwa «bei Pressemitteilungen». Diese Tätigkeit sei nach Auskunft ihres Rechtsanwalts bereits mehrere Jahre vor dem Erscheinen ihrer Berichterstattungen über Judy S. ausgeübt worden.
Nach der Veröffentlichung eines Videos zum Fall Judy S. erhielt die Influencerin Anabel Schunke folgende Nachricht: «Das sind absolut krasse Fehlinformationen der BILD. Die Verfasserin des Artikels wurde mit Fragen zur Quelle dieser Lüge bereits konfrontiert, jedoch blieb eine Antwort bis jetzt aus. Bitte löschen Sie das Video.» Schunke postete am 26.11.2024 die Nachricht des Nutzers auf X und kommentierte: «Dieser User hat mich jetzt die letzten Tage mehrmals kontaktiert und behauptet ganz fest, daß die ‹Polizistin› aus Berlin nicht Trans ist und BILD lügt. Wie glaubwürdig er ist: keine Ahnung. Könnte die @BILD bzw. Nicole B[…] dazu Auskunft geben?» In einem X-Posting vom 26.11.2024 griff Schunke das Thema nochmals auf und verbreitete ein Bildschirmfoto, auf dem der Name der Polizeireporterin stand. Auch X-Nutzer @MissAnonQZ nannte den Namen der Journalistin mit Bezugnahme auf falsche Berichterstattung im Fall Judy S.
Der MedienInsider bewertete am 23.04.2025 die Rolle der Akteure: «Unabhängig von der Frage, ob die Journalistin selbst getäuscht wurde, ob sie sich hat – bewusst oder unbewusst – manipulieren lassen: Es wäre fatal, es sich jetzt leicht zu machen […]. Der Fall Judy S. ist ohne Zweifel die Geschichte eines menschlichen Versagens. Aber war es wirklich das Versagen eines Einzelnen? Kaum. Eine Recherche wie diese wandert durch viele Hände – durch die von Ressortleitern, Mitgliedern der Chefredaktion und zuletzt durch die der obersten Führung. Wurden an diesen Stellen keine Fragen gestellt? Wurden die richtigen gestellt? Und mit welchen Antworten hat man sich abgegeben? Oder war die Story einfach zu schön-skurril, um sie durch kritisches Hinterfragen zu gefährden?»
BILD und B.Z. eskalierten den Fall Judy S.
BILD publizierte drei Falschberichte in den Bundesausgaben
- Am 23.11.2024 auf Seite 8 unter dem Titel: «Polizistin soll Kollegen mit Penispumpe gequält haben: Sie kandidierte als Frauenvertreterin für die Berliner Polizei»
- Am 25.11.2024 auf Seite 6 unter dem Titel: «Missbrauchsverdacht: Kaum jemand wusste, daß die Polizistin einen Penis hat»
- Am 27.11.2024 auf Seite 6 unter dem Titel: «Trans-Polizistin zur Frauenvertreterin gewählt! Sie soll Kollegen mit Penispumpe gequält haben»
Verkaufte Auflage: 890.362 Exemplare, Reichweite: 6,9 Millionen Leser, Vorsitzende der BILD-Chrefredaktionen: Marion Horn, Chefredakteure: Marion Horn, Robert Schneider, Chefredaktion: Daniel Böcking, Martin Brand, Julia Brandner, Kati Degenhardt, Maike Klebl, Patricia Platiel, Saulo Santana, Jan Schäfer.
BILDplus berichtete ebenfalls drei mal
- Am 23.11.2024 unter dem Titel: «Nach Sex-Party im Kitkat-Club: Polizistin soll Kollegen mit Penispumpe missbraucht haben – Trans-Frau kandidierte als Frauenvertreterin für die Berliner Polizei»
- Am 25.11.2024 unter dem Titel: «Berliner Beamtin unter Missbrauchsverdacht: Kaum jemand wusste, daß die Polizistin einen Penis hat»
- Am 26.11.2024 unter dem Titel: «Sie soll Kollegen mit Penispumpe gequält haben: Trans-Polizistin zur Frauenvertreterin gewählt!»
B.Z., eine Berliner Lokalausgabe der BILD im handlichen Tabloid-Format, publizierte zwei Falschberichte
- Am 23./24.11.2024 auf Seite 1 unter dem Titel: «Polizistin soll Kollegen mit Penispumpe missbraucht haben: Sie lernten sich im KitKatClub kennen». Fortsetzung auf Seite 6 unter dem Titel: «Polizistin soll Kollegen mit Penispumpe missbraucht haben: Sie kandidierte als Frauenvertreterin für die Berliner Polizei»
- Am 25.11.2024 auf Seite 5 unter dem Titel: «Beamtin unter Missbrauchsverdacht: Kaum jemand wußte, daß die Polizistin einen Penis hat»
Verkaufte Auflage: 70.450, Exemplare, Reichweite: 0,24 Millionen Leser, Chefredakteur: Jan Schilde, Stellvertretende Chefredakteurin: Larissa Hoppe, Blattmacher: Andra Fischer, Stefan Kost, Chefredaktion: Torsten Hasse, Axel Lier.
Am 27.11.2024 berichtete die B.Z. nicht mehr über Judy S. Ausschließlich BILD berichtete am 27.11.2024 weiterhin über Judy S. und dies sogar in ihrer Bundesausgabe. Ein BILD-Sprecher erläuterte dazu auf Nachfrage: «Die Berichte zu Judy S. erhielten in Folge verstärkt bundesweite Aufmerksamkeit und waren insofern nicht mehr ein reines Berliner Lokalthema.»
BILD und B.Z. warben auf Plakaten für ihre Story
Es ist üblich, daß Titelgeschichten auch auf den Teaser-Plakaten an Verkaufsstellen in Kiosken, Tankstellen und Bahnhöfen angerissen werden. Dies war am 23.11.2024 für B.Z. wie BILD Berlin-Brandenburg der Fall, jedoch nicht an den anderen Tagen der Berichterstattungen.
So falsch berichteten BILD und B.Z. über Judy S.
- Judy S. sei ein «Mann» und habe einen «Penis». Richtig ist, daß sie von Geburt an eine Frau ist und ihr Penis eine reine Erfindung.
- Judy S. sei «Trans» und habe einen «Wechsel ihrer Geschlechtsidentität» durchgeführt. Das ist ebenfalls frei erfunden.
- Judy S. habe «zwei Bundespolizisten» sexuell missbraucht und mit einer «Penispumpe» gequält. Richtig ist, daß Judy S. gar keine Penispumpe besitzt, es diese «zwei Bundespolizisten» gar nicht gibt und Judy S. demnach die zwei «Bundespolizisten» weder sexuell missbraucht noch gequält hat.
- Judy S. sei «zur Frauenvertreterin gewählt» worden. Frauenvertreterin ist ein Amt gemäß § 16 LGG. Richtig ist: Judy S. wurde gewählt als zweite Stellvertreterin der Gesamtfrauenvertreterin, ein Amt gemäß § 18a LGG.
- Judy S. habe im Kitkat-Club gefeiert, dabei sei sie laut dem Tagesspiegel im Club OST gewesen.
Falschberichterstattung und «schwerer Interessenkonflikt»: Az. 0328/25/1-BA (BILD)
Am 08.07.2025 rügte der Deutsche Presserat öffentlich BILD wegen schwerer Verstöße gegen den Pressekodex in der Berichterstattung über Judy S. Unter der Überschrift «Trans-Polizistin zur Frauenvertreterin gewählt!» berichtete die Redaktion über Vorwürfe gegen die Polizistin, u.a. wegen sexuellen Missbrauchs, welche sich später jedoch als unwahr herausgestellt hatten. Auch die Behauptung, Judy S. sei «trans», traf nicht zu. Der Presserat schrieb in einer Pressemitteilung: «Wie sich ebenfalls später erwies, ist die Autorin des Beitrags mit einem Polizisten und Gewerkschaftsfunktionär verheiratet, dessen Organisation eine Konkurrentin bei der Wahl zur Frauenvertretung unterstützt hatte. Die Autorin stand daher in einem schweren Interessenkonflikt, den die Redaktion hätte vermeiden müssen. Insgesamt verstieß der Beitrag massiv gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1, gegen das Gebot zur Trennung von Tätigkeiten gemäß Ziffer 6 und gegen den Persönlichkeitsschutz der Polizistin nach Ziffer 8. Zudem war der Bericht vorverurteilend gemäß Ziffer 13 des Pressekodex.»
In Richtlinie 6.1 – Interessenkonflikte des Pressekodex steht: «(1) Üben journalistisch […] Tätige neben der publizistischen Arbeit zusätzliche Funktionen in […] Gesellschaft aus, müssen alle Beteiligten für eine strikte Trennung dieser Funktionen sorgen. Dies gilt sinngemäß auch für persönliche Beziehungen oder Verflechtungen, sofern diese Zweifel an der erforderlichen Unabhängigkeit einer Berichterstattung begründen können. Dabei ist zu beachten, daß bereits der Eindruck einer interessengeleiteten Veröffentlichung der Glaubwürdigkeit und dem Ansehen der Presse schaden kann. (2) Sofern aufgrund objektiver Anhaltspunkte ein Interessenkonflikt naheliegt, sollen betroffene Personen nicht an der journalistisch-redaktionellen Bearbeitung des jeweiligen Gegenstands mitwirken, es sei denn, der mögliche Interessenkonflikt wird gegenüber der Leserschaft offengelegt.»
Der «schwere Interessenkonflikt», der gegenüber der Leserschaft durch BILD nicht offengelegt wurde, bestand darin, daß Nicole B. sich als Autorin der Berichte über Judy S. und damalige BILD-Redakteurin «in der Vergangenheit» für die DPolG Berlin engagierte, mit einem Funktionär der DPolG Berlin verheiratet ist und es mit Nadine T. eine von der DPolG Berlin unterstützte direkte Gegenkandidatin gab, die mit Judy S. bei der Wahl für das Amt der Stellvertreterin der Gesamtfrauenvertreterin unmittelbar konkurrierte. Die Berichte über Judy S. erschienen zwischen dem 23. und 27. November 2024 in einem Zeitraum, in dem die einwöchige Frist zur Annahme der Wahl lief.
BILD-Sprecher Christian Senft widersprach dem «schweren Interessenkonflikt»: «Die genannte Beziehung der langjährigen Polizeireporterin ist öffentlich bekannt. Insofern verwandtschaftliche Verhältnisse von Redakteurinnen und Redakteuren transparent und bekannt sind, stehen diese nicht mutmaßlich in einem Interessenkonflikt mit deren Berichterstattung.» Zur Rüge gegen BILD wollte sich Senft nicht äußern: «Rügen des Presserates bewerten wir für uns, kommentieren sie aber nicht.»
Meine Presseanfragen an Nicole B. über ihre berufliche E-Mail-Anschrift, ihr persönliches (und mittlerweile gelöschtes) LinkedIn-Konto und die Pressestelle der Axel Springer Deutschland GmbH blieben ohne Antwort. Der Rechtsanwalt von Nicole B. sagte mir, Nicole B. werde sich nicht äußern.
Der Rechtsanwalt von Nicole B. vertritt auch Nadine T. und mahnte mich am 20.06.2025 ab, die Nennung des Namens von Nadine T. zu unterlassen. Zuvor verlangte der Rechtsanwalt bereits, die Nennung des Namens von Nicole B. zu unterlassen.
«Vorverurteilende Berichterstattung» über eine Polizistin: Az. 1052/24/1-BA (BILD und BILD-Online)
Am 18.03.2025 rügte der Beschwerdeausschuß 1 BILD und BILD-Online öffentlich wegen Verletzung der Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) und der Ziffer 13 (Unschuldsvermutung) des Pressekodex. Die Entscheidung über die Begründetheit der Beschwerde erging einstimmig, die Entscheidung über die Wahl der Maßnahme erging mit sieben Ja-Stimmen und einer Nein-Stimme. Der Presserat teilte dazu in einer Pressemitteilung vom 21.03.2025 mit: «Die Redaktionen der BILD-Medien […] erhielten Rügen wegen vorverurteilender Berichte über Vorwürfe gegen eine Polizistin. Sie behaupteten, die angebliche Trans-Frau solle zwei Kollegen sexuell missbraucht haben und schilderten detailgenau die mutmaßlichen Umstände. Jedoch stützte sich die Berichterstattung lediglich auf einen Anfangsverdacht und nicht auf hinreichende Anknüpfungspunkte. Die Beiträge waren zudem mit einem Plakat bebildert, mit dem die Beschuldigte für ein Amt bei der Polizei kandidiert hatte. Das Foto war lediglich mit einem Augenbalken versehen. Auch der Vorname und Anfangsbuchstabe des Nachnamens machten die Betroffene nach Ansicht des Presserats identifizierbar. In Verbindung mit den Vermutungen über ihre Trans-Identität und den schweren Vorwürfen gegen sie verstießen die Berichte massiv gegen den Persönlichkeitsschutz der Polizistin nach Ziffer 8 des Pressekodex. Die vorverurteilende Berichterstattung verletzte zudem die Unschuldsvermutung nach Ziffer 13.»
Die Redaktion wurde gebeten, die Rüge in einer ihrer nächsten Ausgaben zu veröffentlichen. BILD hat die Rüge allerdings noch nicht publiziert. Im Optimalfall soll die Redaktion sechs Wochen nach Erhalt der Entscheidung die Rüge veröffentlichen. Es erfolgen hierzu falls nötig drei Erinnerungen durch den Presserat an die Beschwerdegegnerin. Aufgrund interner Arbeitsprozesse des Presserats erfolgten diese nicht immer regelmäßig alle zwei Wochen. Im konkreten Fall wurde die BILD-Redaktion bereits zum zweiten Mal zur Rügenveröffentlichung gemahnt. Der Verzug der Rügenveröffentlichung spricht nicht für Horns Aufarbeitung des Falls.
B.Z.-Berichte über angeblichen Missbrauch durch Polizistin waren vorverurteilend
Am 18.03.2025 rügte der Beschwerdeausschuß 1 die B.Z. öffentlich wegen Verletzung der Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) und der Ziffer 13 (Unschuldsvermutung) des Pressekodex (Az. 1174/24/1-BA). Die Entscheidung über die Begründetheit der Beschwerde erging einstimmig, die Entscheidung über die Wahl der Maßnahme erging mit 7 Ja-Stimmen und 1 Nein-Stimme. Aufgrund des eingereichten Wiederaufnahmeantrags mit dem Az. 1174/24/1-BA-WA konnte die B.Z. mit der Rügenveröffentlichung in diesem Verfahren bis zum Abschluß des Wiederaufnahmeverfahrens warten.
Abgelehnter Antrag auf Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens gegen B.Z.
In dem Verfahren mit dem Az. 1174/24/1-BA verfasste der Presserat eine fehlerhafte Entscheidung, die später korrigiert wurde. Am 25.06.2025 lehnte der Beschwerdeausschuß 2 einen Antrag auf Wiederaufnahme ab, weil die neuen Gegebenheiten nicht dazu geeignet waren, eine andere Entscheidung als die ausgesprochene öffentliche Rüge zu begründen. Die Entscheidung erging einstimmig.
In Folge des Antrags auf Wiederaufnahme im Verfahren mit dem Az. 1174/24/1-BA-WA wurde ein weiteres bereits eingeleitetes Beschwerdeverfahren gegen die B.Z. in das zum späteren Zeitpunkt eingetretene Wiederaufnahmeverfahren mitaufgenommen und das Az. 0306/25/1 daraufhin wieder gelöscht.
BILD entschuldigte sich gleich drei mal bei Judy S.
Die erste Entschuldigung
Die erste Entschuldigung publizierte BILD-Online am 20.12.2024: «In eigener Sache: BILD bittet um Entschuldigung. Liebe Leserinnen, liebe Leser, seit dem 23. November hat BILD an mehreren Tagen über eine Berliner Polizistin berichtet, gegen die ein Ermittlungsverfahren läuft. Die Artikel erschienen sowohl online auf bild.de als auch in der gedruckten BILD-Zeitung sowie in der B.Z. Dabei sind uns handwerkliche Fehler unterlaufen, die uns nicht hätten passieren dürfen. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler – und Fehler passieren auch in der BILD-Redaktion! Daher möchten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ganz offen sagen: Wesentliche Fakten der Berichterstattung über die Polizistin sind unzutreffend, wodurch wir sie leider in ein falsches Licht gerückt haben. Dafür möchten wir in erster Linie die betroffene Beamtin, aber natürlich auch Sie um Entschuldigung bitten. Ihre BILD-Redaktion»
Die zweite Entschuldigung
Die zweite Entschuldigung publizierte BILD-Online am 14.03.2025: «In eigener Sache: BILD bittet Beamtin um Entschuldigung. Liebe Leserinnen, liebe Leser, im November 2024 berichtete BILD an mehreren Tagen über eine Berliner Polizistin, gegen die ein Ermittlungsverfahren lief. Die Artikel erschienen sowohl online auf bild.de als auch in der gedruckten BILD-Zeitung sowie in der B.Z. Leider sind uns bei der Berichterstattung handwerkliche Fehler unterlaufen. Das bedauern wir außerordentlich. Daher sagen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ganz klar und offen: Wesentliche Fakten der Berichterstattung über die Polizistin waren unzutreffend, wodurch wir sie leider in ein falsches Licht gerückt haben. Das Ermittlungsverfahren gegen die Beamtin wurde am 30. Januar 2025 eingestellt. Grund: Es gab keinen hinreichenden Tatverdacht gegen die ehemalige Beschuldigte. Wir bitten die Beamtin, aber natürlich auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, um Entschuldigung. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Trotzdem, das hätte uns nicht passieren dürfen. Marion Horn, BILD-Chefredakteurin».
Die dritte Entschuldigung
Die dritte Entschuldigung erfolgte im Rahmen mehrerer Richtigstellungen der BILD und B.Z. Die B.Z. druckte am 17.04.2025 auf Seite 1 eine Richtigstellung, die der Größe des Berichts vom 23.11.2024 über Judy S. auf der Titelseite entsprach: «B.Z. hat im November 2024 in mehreren aufeinanderfolgenden Berichten Falschbehauptungen über die Berliner Polizistin ‹Judy S.› verbreitet. Wir haben berichtet, daß Judy S. in Wirklichkeit eine Transfrau sei. Sie habe beim Sex in ihrer Wohnung zwei Männer unter Drogen gesetzt und missbraucht, unter anderem mit einer Penispumpe. Keine dieser Behauptungen war zutreffend. Sie sind widerlegt. Der Redaktion ist bewusst, daß sie Judy S. mit ihrer Berichterstattung großen Schaden zugefügt hat. Dafür bittet sie Judy S. um Entschuldigung. Die Redaktion».
Eine entsprechende Richtigstellung erschien auch am 17.04.2025 auf Seite 1 in der BILD Berlin/Brandenburg-Ausgabe und auf Seite 3 in der BILD-Bundesausgabe mit kleinem Hinweis auf der Titelseite der BILD-Bundesausgabe. BILD-Online und B.Z.-Online publizierten Richtigstellungen, die für einige Stunden sogar auf ihren Startseiten standen.
Horn schrieb Rundbrief an ihre Mitarbeiter
Der MedienInsider berichtete über Horns Rundbrief vom 21.03.2025 an ihre Mitarbeiter: «Selbstmitleidig wird Horn auch innerhalb ihrer eigenen Redaktion wahrgenommen. Überhaupt sei das die deutlichste Reaktion von Horn auf das „Volldesaster“, wie es ein Redaktionsmitglied gegenüber Medieninsider beschreibt. Die versprochene Aufklärung? Kennen Mitarbeiter ebenfalls nur von Hörensagen. Vielmehr werde das Thema möglichst umschifft. Über die öffentlichen Erklärungen hinaus habe es innerhalb der Redaktion nur ein einziges Mailing gegeben. […] Versandt wurde es im Mitarbeiter-Newsletter ‹Wir bei BILD› am 21. März, also weit nach der falschen Berichterstattung und erst kurz nach den ersten Veröffentlichungen in anderen Medien. Auch hier entschuldigte sich die Chefredaktion und erklärte, ‹aus diesem Fehler lernen› zu wollen. […] In der Redaktion wirft man derweil die Frage auf, ob die Chefredaktion überhaupt ordentlich aufarbeiten will oder nur Symptome behandelt werden.»
Horn entschuldigte sich auf LinkedIn bei Judy S.
Am 16.04.2025 schrieb Horn auf LinkedIn: «BILD steht für Klartext. Für Haltung. Für Mut zur Wahrheit Mut zur Wahrheit bedeutet auch: Wenn wir Fehler machen, dann stehen wir dazu. Im Fall ‹Judy S.› haben wir versagt. Punkt. Es tut weh, das so klar hinzuschreiben. Denn ich weiß, wie hart und exzellent mein Team arbeitet. Aber über Judy S. haben wir komplett falsche Informationen verbreitet. Darum bitten wir die Beamtin am 17. April erneut – klar und öffentlich – um Entschuldigung.
- Hauptschlagzeile Seite 1 der B.Z.
- Prominent auf der Titelseite von BILD-Berlin
- Aufmacher auf Seite 3 der Bundesausgabe
- den ganzen Tag groß auf BILD.de
Unser Ziel ist klar: Wirklich alle unsere Leserinnen und Leser sollen diese Richtigstellung lesen. Denn unsere falsche Berichterstattung tut uns aufrichtig leid. Wir übernehmen Verantwortung. Persönlich und finanziell. BILD mag manchmal zu laut oder zu albern oder zu streng sein. Aber wir stehen für Journalismus, der exklusive Nachrichten produziert. Nicht umsonst führen wir mit Abstand vor allen anderen Medien im Zitate-Ranking von MediaTenor. Wenn wir Fehler machen, dann stehen wir dafür gerade. Ohne Ausflüchte. Ohne Relativierung. Davon kann sich jeder überzeugen. Bitte, liebe Judy S., vielleicht können Sie unsere Entschuldigung irgendwann annehmen. Das würde meinen Kollegen und mir sehr viel bedeuten.»
Reaktionen auf Horns LinkedIn-Beitrag
Maike Klebl, BILD Nachrichtenchefin und Mitglied der Chefredaktion, teilte Horns Beitrag auf LinkedIn mit der Anmerkung: «Wir können diese Geschichte leider nicht ungeschehen machen. Nur die betroffene Polizistin und unsere Leserinnen und Leser aufrichtig um Verzeihung bitten – und Wiedergutmachung leisten, wo wir können.»
Tagesspiegel-Ressortleiter Alexander Fröhlich kommentierte Horns Beitrag wie folgt: «Es war ein langer Weg, es ist ein nahezu einmaliger Fall in der deutschen Mediengeschichte. Daß Springer nun 150.000 Euro an Judy S. zahlt, ist anzuerkennen. […] Ob das Judy S. hilft, ob sie in ihren Job als Beamtin der Polizei Berlin zurückkehren kann, wird sich zeigen. […] Wir bleiben dran. […] Gemeinsam mit Ann-Kathrin Hipp habe ich im März für den Verlag Der Tagesspiegel den Fall rekonstruiert. Der Fall bekam dadurch deutschlandweit Aufmerksamkeit. Nun berichten wir über die historische Richtigstellung und die Entschädigung.»
Der MedienInsider kritisierte, daß Horn verknüpft ihre persönliche Entschuldigung bei Judy S. auf LinkedIn mit einem Verweis auf den Erfolg von BILD beim Zitate-Ranking verknüpfe, was in keinem Zusammenhang mit dem Fall stehe und ihre Entschuldigung laut MedienInsider «unglaubwürdig und taktlos» erscheinen lasse. «Daß die Recherche zur Recherche dringend und ernsthaft erfolgen muss, zeigt auch der Verdacht, der BILD-intern über die Flure geht und von jemandem aus der Redaktion so zusammenfasst wird: ‹Vielleicht gab es auch keine richtigen Nachfragen, weil die Geschichte über eine vergewaltigende trans Frau halt ins Weltbild einiger Verantwortlicher gepasst hat.› Gedanken wie diese zeigen auch, daß die Chefredaktion schon allein aus Selbstschutz eine ordentliche Aufklärung anstoßen muss. Aber nicht durch interne Teams», so der MedienInsider.
Marion Horn sprach auf Mitarbeiterversammlung über Judy S.
Am 12.05.2025 sprach Marion Horn in einem internen Meeting zu Mitarbeitern in der Arena im Springer-Neubau über den Fall. Laut MedienInsider soll Horn gesagt haben, «[…] im Nachhinein froh über die Causa Judy S. zu sein, weil dies zur Selbsterkenntnis beigetragen habe. Dadurch ergebe sich die Chance, Prozesse noch einmal zu überarbeiten. Beim so genannten Redaktionsupdate wurde keine umfangreiche Aufklärung des Falls präsentiert […] Schon die Formulierung, froh zu sein, löste in der Belegschaft Irritationen aus […]. Für Störgefühle soll die Chefredakteurin aber mit weiteren Ausführungen gesorgt haben. Einige davon sind in der Belegschaft so verstanden worden, daß Horn Rechtschreibfehler für markenschädlicher halte als die Auswirkungen der Causa Judy S.
In der Redaktion […] gibt man sich gegenüber der Chefredakteurin verständnislos. Horn habe im Zusammenhang darüber gesprochen, wie sie in der Causa Judy S. gelitten habe, anstatt noch einmal das Leid der betroffenen Polizistin zu betonen oder sich erneut zu entschuldigen. Ein Redaktionsmitglied: ‹Das macht deutlich, daß sie überhaupt nicht verstanden hat, wie schlimm das für Judy S. persönlich war.› […] ‹Es ist völlig absurd zu glauben, daß gelegentliche Rechtschreibfehler großer Schaden anrichten als ein so großer und öffentlichkeitswirksamer Fall.›
Unmut zieht die Chefredakteurin auch mit der Art und Weise auf sich, wie sie Konsequenzen ‹angedroht› habe. […] Redakteuren pauschal und von vornherein mit ‹harten Konsequenzen› zu drohen und Andeutungen über Jobverlust zu machen, sorge nicht für mehr Achtsamkeit, sondern Verunsicherung. ‹Teile der Belegschaft sind total verängstigt›, sagt ein Redaktionsmitglied. Außerdem fragt man sich, welche eigenen Konsequenzen die Chefredaktion als Mitverantwortliche an der Causa Judy S. gezogen hat. […]»
Kapitel 4: Die Trittbrettfahrer
Berliner Kurier hätte Informationen über Vorwürfe gegen Polizistin prüfen müssen
Am 25.11.2024 übernahm der Berliner Kurier Teile der Falschberichte unter dem Titel «Polizistin soll Kollegen missbraucht haben: Nach Sex-Party im Kitkat-Club. Jetzt ermitteln die Kollegen der Berliner Polizei» (Autorin: Veronika Hohenstein, Chefredakteur: Michael Heun).
Am 18.03.2025 sprach der Beschwerdeausschuß 1 gegen den Berliner Kurier eine Missbilligung aus wegen Verletzung der Ziffer 2 (Sorgfalt) des Pressekodex (Az. 1176/24/1-BA).
In den Erwägungen des Ausschußes hieß es: «Die Mitglieder erkennen einen Verstoß gegen die journalistische Sorgfalt nach Ziffer 2 des Pressekodex. Zwar macht die Redaktion die Vorwürfe gegen die Polizistin als Informationen kenntlich, die sie aus einer anderen Zeitung übernommen hat. Jedoch hätte sie angesichts der Schwere der Vorwürfe selbst der Betroffenen eine Chance geben müssen, auf die Anschuldigungen zu reagieren. Eine Stellungnahme hat die Redaktion jedoch offenbar nicht bei der Beschuldigten eingeholt. Damit verstieß sie gegen die journalistische Sorgfaltspflicht, nach der zur Veröffentlichung bestimmte Informationen mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen sind.»
Die Entscheidung über die Begründetheit der Beschwerde und über die Wahl der Maßnahme ergingen jeweils einstimmig.
FOCUS-Online hätte Judy S. zu den schwerwiegenden Vorwürfen befragen müssen
Am 24.11.2024 übernahm FOCUS-Online Teile der Falschberichte unter dem Titel «Lernten sich in Berliner Sex-Club kennen: Polizistin (27) soll Kollegen unter Drogen gesetzt und schwer missbraucht haben» (Autor: Dominik Voss/«dvo», Chefredakteur: Florian Festl).
Am 23.06.2025 sprach der Beschwerdeausschuß 1 gegen FOCUS-Online eine Missbilligung aus wegen Verstößen gegen die Ziffer 2 (Sorgfalt) und gegen die Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) des Pressekodex (Az. 0304/25/1-BA).
In den Erwägungen des Ausschußes hieß es: «Der Ausschuss stimmt den von der Redaktion selbst eingeräumten Recherchemängeln zu. Angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe hätte sie die betroffene Polizistin selbst zum Sachverhalt befragen müssen. […] Über den Link konnten […] Leser leicht zur identifizierenden Berichterstattung über die Betroffene gelangen. Der Presserat hat jedoch bereits festgestellt, daß kein öffentliches Interesse an der Identität der Polizistin bestand und die erkennbare Darstellung gerügt» (siehe Az. 1052/24/1-BA und Az. 1174/24/1-BA).
Die Entscheidung über die Begründetheit der Beschwerde erging mit 5 Ja-Stimmen und 1 Nein-Stimme, die Entscheidung über die Wahl der Maßnahme erging mit 5 Ja-Stimmen bei 1 Enthaltung.
Auch Schweizer Presserat befasst sich mit dem Fall
Am 23.11.2024 berichtete Blick-Online (Chief Content Officer: Steffi Buchlim, Chief Digital Officer: Sandro Inguscio) falsche Behauptungen über Judy S. unter dem Titel «Skandal in Berlin: Polizistin (27) soll Kollegen mit Penispumpe missbraucht haben» (Autoren: Johannes Hillig, Redaktor News) und BliKI (Der intelligente Helfer).
Wolfgang Wiehle, MdB (AfD) teilte NIUS-Kachel
Am 27.11.2024 postete Wolfgang Wiehle, für die «Alternative für Deutschland» (AfD) Mitglied des Deutschen Bundestags, auf Facebook einen Screenshot von NIUS, den Wiehle mit falschen Behauptungen über Judy S. kommentierte: «Irre: Sexualtäter ist als Transfrau ‹Judy S.› bei Berliner Polizei und wird ‹Frauenvertreterin›!», «‹Selbstbestimmungsetz› radiert Schutz der Frauen aus, die Lüge regiert!». Dazu kommentiert Wiehle: «die hässliche Wahrheit dringt durch! +++ Dieser Fall sorgt in Berlin für Aufsehen: Ein Polizist, der als sogenannte Transfrau Judy S. lebt, steht im Verdacht, zwei Bundespolizisten unter Drogen gesetzt und sie anschließend mit einer Penispumpe brutal misshandelt zu haben. Anstatt diese offenbar schwer gestörte Person sofort vom Dienst zu suspendieren, wird S. sogar zur zweiten stellvertretenden Gesamtfrauenvertreterin der Berliner Polizei gewählt! Berichten zufolge waren viele Polizistinnen, die an der Wahl teilnahmen, nicht darüber informiert, daß S. ein biologischer Mann ist, geschweige denn, was er getan hat. Mit dem „Selbstbestimmungsgesetz“ wurde der Schutz von Frauen ausradiert! Seither müssen die Bürger die woke Lüge mittragen, sonst wird es teuer. So wird in der bunten Republik der mutmaßliche Sexualtäter zum Frauenvertreter. Lesen Sie den ganzen irren Fall bei NIUS […]».
Weltwoche schrieb auch von der BILD ab
Am 26.11.2024 berichtete die Weltwoche (Chefredaktor: Roger Köppel, Mitglieder der Chefredaktion: Erik Ebneter, Roman Zeller, Digital) falsche Behauptungen über Judy S. unter dem Titel «Trans-Polizistin wird Frauenvertreterin: Wie eine Wahl die Berliner Polizei durchrüttelt».
Anabel Schunke sprang auch auf den Fall auf
Am 26.11.2024 publizierte die Influencerin Anabel Schunke (229.052 Follower auf X) ein Video über den Fall Judy S. auf Facebook und auf TikTok. Dazu schrieb sie auf Facebook: «Wir leben in der dümmsten anzunehmenden Realität …» Das Video hat auf Facebook ca. 10.500 Aufrufe und die meisten der 42 Kommentare sind niederträchtig und transfeindlich. Einer der harmlosesten Kommentare stammt von Walter Sommer und lautet: «Wie soll eine Person mit Penis biologische Frauen verstehen und vertreten»?
Medienanstalten prüfen Berichte über Judy S.
Wer redaktionell-journalistisch arbeitet, trägt eine hohe Verantwortung gegenüber Lesern. Mit Inkrafttreten des neuen Medienstaatsvertrags im November 2020 haben die Landesmedienanstalten die Aufgabe erhalten, gegen die Missachtung journalistischer Sorgfaltspflichten und die damit verbundene Verbreitung von Desinformation im Internet vorzugehen. Das gilt vor allem, wenn diese Telemedien geschäftsmäßig angeboten werden und regelmäßig Nachrichten oder politische Informationen verbreiten und nicht dem Presserat oder einer anderen Selbstkontrolleinrichtung unterliegen. Daher prüft die Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern Berichterstattungen von MorgensternTV.
Am 26.11.2024 postete der Influencer «Boris von Morgenstern» alias Boris von Jutrzenka-Trzebiatowski ein Video auf YouTube (155.000 Abonnenten) und auf X (25.875 Follower), das falsche Behauptungen über Judy S. enthält. Auf YouTube schrieb der Influencer unter dem Titel «Trans-Polizistin wird MISSBRAUCH vorgeworfen & wird Frauenvertreterin»: «2 Bundespolizisten werfen der Trans-Polizistin vor, von ihr sexuell missbraucht worden zu sein. Jetzt wurde sie zur Frauenbeauftragten gewählt. Anscheinend wusste kaum jemand, daß es sich um einen gebürtigen Mann handelt. Wie absurd wird es noch?» Alles völlig frei erfunden. Doch anstatt das Video (86.990 Aufrufe) und den Text sofort zu löschen, nachdem öffentlich bekannt wurde, daß die Behauptungen über Judy S. falsch sind, postet der Kanal einen belanglosen Kommentar, mit dem er sich aus der Affäre zu ziehen will: «Ich arbeite gerade an einem aktuellen Beitrag. Solange der nicht fertig ist, bleibt das Video aus Transparenzgründen online. Ich versuche Kontakt zu Judy herzustellen. Sobald ein aktualisierter Beitrag online ist, wird dieses Video auf ‹nicht gelistet› gestellt. Noch habe ich das ganze nicht so richtig durchblickt. Grüße.»
Auf X heißt es zu dem Vide0 (52.485 Mal angezeigt) unter dem reißerischen Titel «MISSBRAUCH nach Sex-Party? Trans-Polizist(in)», der bereits falsche Behauptungen enthält, wenn auch vermeintlich abgeschwächt als rhetorische Frage formuliert: «Einer Berliner Trans-Polizist(in) wird vorgeworfen 2 Männer sexuell missbraucht zu haben, nachdem sie sie unter Drogen gesetzt hat. Jetzt wird die Polizistin mit Penis (BILD-Zitat) zur stellvertretenden Frauenvertreter(in). Dit is Berlin, besser wird es heute nicht.»
Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) prüft Berichterstattungen von NIUS (Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes: Julian Reichelt).
Am 23.11.2024 übernahm NIUS Teile der Falschberichte unter dem Titel «Kriminalität: Zuvor kandidierte sie als Frauenvertreterin: Transfrau-Polizistin soll Kollegen missbraucht haben». Am 27.11.2024 publizierte NIUS einen Kommentar von Pauline Voss unter dem Titel «Sexualstraftäter wird ‹Frauenvertreterin›: Wie der Staat sein Schutzversprechen gleich doppelt bricht». Ein Posting dazu ist auf der Facebook-Seite von NIUS noch immer abrufbar. Darunter stehen Kommentare wie von Heinz Ulrich Tümpner: «Ich hoffe das die Lisa Paus mal so richtig von einer Frau mit Penis vergewaltigt wird damit sie merkt was ihr mit Gewalt durchgezogenes Gesetz erreicht hat.» Nius löschte diese Haßkommentare bisher nicht.
Bereits die Überschrift ist falsch: «Sexualstraftäter wird ‹Frauenvertreterin›». Richtig ist: Als NIUS den Beitrag publizierte, bestand zwar noch ein Anfangsverdacht gegen Judy S. wegen eines mutmaßlichen Sexualdelikts. Um die Betroffene als «Sexualstraftäter» bezeichnen zu dürfen, bedürfte es nach der gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK auch in Deutschland geltenden Unschuldsvermutung ihrer rechtskräftigen Verurteilung. Diese rechtskräftige Verurteilung gab es nicht zum 27.11.2024, daher hätte NIUS die Betroffene nicht als «Sexualstraftäter» bezeichnen dürfen.
Die Betroffene ist eine Frau. Daher darf NIUS für die Betroffene nicht das maskuline Nomen nutzen. NIUS nutzt das Substantiv mit Absicht im falschen Genus, um Stimmung gegen Menschen mit Trans-Hintergrund zu machen und die bereits in der Überschrift die falsche Nachricht zu transportieren, ein Mann werde «Frauenvertreterin›».
In der Bildunterschrift berichtet NIUS falsch: «‹Polizistinnen› wie Judy S.». Da Judy S. eine Frau ist, steht die Berufsbezeichnung «Polizistinnen» falsch in Anführungszeichen in Bezug auf Judy S. Zudem ist Judy S. auf zwei Abbildungen identifizierbar. Daher verletzen die Abbildungen die Persönlichkeitsrechte von Judy S.
Und im Beitrag heißt es weiterhin: «Ein Polizist, der als sogenannte Trans-Frau lebt und auf den Namen Judy S. hört, soll zwei Bundespolizisten unter Drogen gesetzt und unter anderem mithilfe einer Penispumpe misshandelt haben. In ihrer Anzeige gaben die Polizisten laut BILD an, nicht gewusst zu haben, daß es sich bei S. um einen Mann handelte. Nun wurde S. auch noch zur zweiten stellvertretenden Gesamtfrauenvertreterin der Berliner Polizei gewählt. Anscheinend wussten auch viele Polizistinnen bei der Wahl nicht, daß S. ein Mann ist. Er bekam 638 Stimmen.»
Richtig ist, daß Judy S. eine Polizistin und kein Polizist ist und eine Frau und kein Mann (und auch keine Trans-Frau). Daher ist es auch falsch, Judy S. mit dem maskulinen Pronomen «er» zu bezeichnen. Richtig ist das feminine Pronomen «sie». Weder setzte Judy S. «zwei Bundespolizisten unter Drogen» noch hat sie diese «mithilfe einer Penispumpe misshandelt». Diese Vorwürfe sind frei erfunden und widerlegt. NIUS unterließ, die Betroffene mit den konkreten Vorwürfen zu konfrontieren und verletzte dadurch die presserechtlichen Pflichten bei Verdachtsberichterstattung und die Persönlichkeitsrechte von Judy S. Für die Vorwürfe gibt es keine privilegierte Quelle, sondern lediglich die BILD als Quelle. NIUS macht sich somit die Falschberichte der BILD in Teilen zu eigen, ohne die Vorwürfe vor der Veröffentlichung sorgfältig zu prüfen.
Ralf Schuler
Ralf Schuler, Politikchef der VIUS SE & Co. KGaA, postete auf X: «Zuvor kandidierte sie als Frauenvertreterin: Transfrau-Polizistin soll Kollegen missbraucht haben». Die Polizistin ist keine «Transfrau», sie missbrauchte keine «Kollegen» und sie kandidierte nicht «zuvor» als Frauenvertreterin, sondern erst danach. Wobei danach auch falsch ist, weil es die vermeintliche Sexualstraftat, der sie zu Unrecht bezichtigt wurde, gar nicht gab.
Kapitel 5: Das Medienecho
20.03.2025
- Im Tagesspiegel publizierten Ressortleiter Alexander Fröhlich und Redakteurin Ann-Kathrin Hipp eine ausführliche Rekonstruktion des Falls mit der prägnanten Schlagzeile «Die verlorene Ehre der Judy S.» auf der Titelseite. Fortsetzung auf den Seiten B10 bis B12: «Die ‹BILD›, die Polizei und Judy S. Unhaltbare Vorwürfe und ein erfundener Penis». Der Bericht erschien auch in den Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN) auf den Seiten B12 bis B14 und Online unter dem Titel: «Unhaltbare Vorwürfe und ein erfundener Penis: Wie die ‹BILD› und Polizisten den Ruf einer Berliner Beamtin zerstörten». Auszüge der Berichte wurden am 24.03.2025 im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses von Berlin und am 27.03.2025 in einer Schriftlichen Anfrage zitiert. Am 15.04.2025 untersagte das Landgericht Berlin II der Verlag Der Tagesspiegel GmbH nach mündlicher Verhandlung die Verbreitung ihrer Berichterstattung über eine Person der DPolG (Az. 27 O 91/25 eV). Das Landgericht Hamburg wies am 07.05.2025 den Antrag eines Ehepaars auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Verlag Der Tagesspiegel GmbH zurück (Az. 324 O 165/25). Am 15.05.2025 legte das Ehepaar gegen die Entscheidung sofortige Beschwerde ein. Am 12.06.2025 änderte das Hanseatische Oberlandesgericht den Beschluss zugunsten einer Antragstellerin ab (Az. 7 W 234/25). Rosenberger & Koch vertrat die Verlag Der Tagesspiegel GmbH.
- Margarethe Gallersdörfer hob die Titelgeschichte im Tagesspiegel Checkpoint hervor mit den Worten: «Nach dieser Meldung sind Sie wach. […] Rufmord-Skandal bei der Berliner Polizei […] polizeiinterne Intrigen wurden der Frau zum Verhängnis.
- Vicky Bargel berichtete auf Spiegel-Online unter dem Titel: «Wie ‹BILD› und ‹NIUS› eine kriminelle trans Polizistin erfanden
- Henning Kornfeld berichtete für den Mediendienst kress pro unter dem Titel:
21.03.2025
- Ben Kutz befasste sich in der MDR-Kolumne «Das Altpapier mit dem Fall.
- Axel Weidemann (wei.) berichtete auf F.A.Z.-Online unter der Überschrift: «Durch ‹BILD› verunglimpft: Am Bericht um Judy S. stimmt kaum etwas
- Queer.de berichtete unter dem Titel: «Trans-Panik – Berichte über kriminelle trans Polizistin in ‹BILD› und ‹NIUS›: Alles nur erfunden
- Das MANNSCHAFT Magazin berichtete unter dem Titel: «Erfundener Penis: Rufmordkampagne› gegen Berliner Polizistin: Der Fall Judy S. schlägt hohe Wellen
- Aljoscha Prange berichtete auf ntv unter dem Titel: «Penispumpen-Missbrauch erfunden: Wurde angebliche trans Beamtin Opfer polizeiinterner Intrige?
- Lorenz Meyer verlinkte auf BILDblog unter dem Titel «Unhaltbare Vorwürfe auf Spiegel-Online: «Vicky Bargel schreibt über einen Fall, in dem die ‹BILD›-Redaktion sowie das Portal ‹NIUS› von Ex-‹BILD›-Chefredakteur Julian Reichelt eine zentrale Rolle spielen und der selbst ‹hartgesottene Medienbeobachter› verblüffe.
- Markus Trantow, Chefredakteur aller turi2-Medien, verlinkte auf turi2 zum KNA Mediendienst: «Rügen-Gebirge: Der Presserat spricht in seiner März-Sitzung 24 Rügen aus – ein Drittel davon gehen an Springers ‹BILD›. Das Boulevardblatt und seine Schwester ‹B.Z.› werden u.a. für die Berichterstattung über die Berliner Polizistin Judy S. gerügt. Das Blatt hatte behauptet, dass es sich bei der Frau um eine trans Frau handele, die zwei Kollegen sexuell missbraucht habe. Die Meldungen stellten sich als falsch heraus. Der Presserat sieht in der Enthüllung von S. Identität einen Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht. Außerdem habe die Berichterstattung die Unschuldsvermutung verletzt.
25.03.2025
- Carolin Gasteiger befasste sich in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel: «Bis ins Privateste mit den Rügen des Presserats gegen BILD und B.Z.
- Philipp Siebert berichtete in der Berliner Morgenpost unter dem Titel: «Ermittlungen wegen Rufmordes an Polizistin Missbrauchsvorwürfe und Transidentität in der ‹BILD› waren frei erfunden
- Felix von Leitner berichtet darüber auf Fefes Blog.
-
Elisa Makowski und Karsten Frerichs berichteten für den Evangelischen Pressedienst (epd) in fünf Meldungen mit den Titeln: «‹BILD› entschuldigt sich für Falschberichte über Polizistin
- Jan Hofer berichtete für WDR Aktuelle Stunde unter dem Titel: «Berliner Polizistin soll Rekordentschädigung von ‹BILD›-Zeitung bekommen Die BILD muß sich den Vorwurf gefallen lassen, daß sie Zahlungen und Rügen bewußt in Kauf nimmt. Dafür sprechen die zahlreichen Fälle aus den vergangenen Jahren, in denen es genauso gewesen ist. Es ist vielleicht am Ende immer eine Kosten-Nutzen-Abwägung auf Seiten des Verlages, denn natürlich nimmt nicht jedes Opfer einer Berichterstattung diesen beschwerlichen Weg in Anspruch, also gerichtlich durchzusetzen, daß es Entschädigung von Seiten des Verlags gibt.
- Henning Kornfeld berichtete für kress pro: Fall Judy S.: BILD und B.Z. zahlen 150.000 Euro
- @mediasres im Deutschlandfunk.
- Tschermak und
- Samira El Ouassil kommentierte den Fall auf Spiegel-Online als eine transfeindliche Medienkampagne
- Aurelie von Blazekovic berichtete auf SZ-Online unter dem Titel: Alles komplett falsch
- Michael Hanfeld (miha.) berichtete in F.A.Z. Einspruch vom 17.04.2025 unter dem Titel: Transfrau mit Penispumpe›: ‹BILD› entschuldigt sich für Falschberichte über Polizistin Judy S. Titel:
- Matti Hartmann und Leon Pollok berichten auf t-online unter dem Titel: Alles erfunden, von Anfang bis Ende: Wie konnte die ‹BILD›-Zeitung diese Geschichte je drucken?
- Tom Wannenmacher publizierte für Mimikama einen ausführlichen Faktencheck unter dem Titel «Fake-News: Wie ‹BILD› die Polizistin Judy S. zur Zielscheibe machte. Ein Fall von Rufmord durch Boulevardjournalismus – und eine öffentliche Entschuldigung, die viel zu spät kommt». Mimikama ist ein Portal des Vereins zur Aufklärung über Internetmissbrauch.
- Robert Tiesler kommentierte auf seinem Blog RTZapper: Halten wir fest: Springer hat eine von vorn bis hinten erlogene Story veröffentlicht und dann dann weitergesponnen, als klar, dass nichts dran war. Brachte ja Klicks und Aufmerksamkeit. BILD und B.Z. geilten sch an der Empörung über eine angebliche Transfrau auf, machten das ganze Thema verächtlich und feierten sich dafür. Jetzt ist Schluss mit Feiern. Vermutlich wird man sich jetzt einige Zeit wegducken – und irgendwann finden sie das nächste Opfer. Ich habe für solche Vorgänge eigentlich nur noch Verachtung übrig.
- Marvin Schade fragte im Lese-Letter 17/2025: «Wo bleibt die Judy-Kommission? Die größten journalistischen Verfehlungen von BILD in eine klare Rangfolge zu bringen, ist schwer. Der Fall Judy S. aber gehört in die Top 5 – und definitiv an die Spitze der jüngeren BILD-Historie. Man könnte sogar sagen: Dieser Fall ist schlimmer als Relotius. Denn hier wurde nicht nur ein Medium schwer beschädigt, sondern auch einer Person gezielt geschadet. Auch deshalb muss schonungslos aufgeklärt werden.» 2018 wurde bekannt, daß Claas-Hendrik Relotius Teile seiner Berichte erfunden hat, was einen Medienskandal auslöste. Daraufhin gründete die DER SPIEGEL GmbH & Co. KG eine Relotius-Kommission, in der Brigitte Fehrle, Clemens Höges und Stefan Weigel die Falschberichte aufarbeiteten. Die Judy-Kommission eingesetzt, obwohl Marion Horn eine Aufarbeitung des Falls ankündigte.
- Die Hamburger Morgenpost berichtete über die Rügen des Presserats gegen BILD und B.Z.
- David Rühl berichtete für «WDR 5 Töne, Texte, Bilder – das Medienmagazin» mit Anja Backhaus: «In einer Richtigstellung gibt die BILD zu, falsch über eine Berliner Polizistin und ihr angebliches Sexualleben berichtet zu haben. Dabei hätte es die Zeitung von Anfang an besser wissen müssen.
- Dennis Klein berichtete auf Queer.de unter dem Titel «Fragwürdiger Verlag als Ally? ‹Ein Schlag ins Gesicht›: Kritik an Axel-Springer-Schirmherrschaft beim CSD Dresden
- Marvin Schade berichtete im MedienInsider erneut über Marion Horns Umgang mit dem Fall.
- Marvin Schade berichtete im MedienInsider abermals über Horns interne Aufarbeitung, diesmal unter dem Titel: «Nach Judy S. droht BILD-Chefin Marion Horn mit harten Konsequenzen›».
- Wenn Sprache entgleist Sprache spiegelt Denken. Und das ist entgleist. Im Kampf um Aufmerksamkeit zählt nur der niederste Instinkt. Im April erst zahlte der Boulevard 150.000 Euro Schmerzensgeld an eine junge Polizistin, wegen frei erfundener Klickstorys, die ein Leben ruinierten. Anwalt Schertz fühlt sich an Bölls Katharina Blum erinnert. Untertitel: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann. 50 Jahre, nichts gelernt.
- Holger Kreymeier sprach in Folge 348 der Mediatheke ausführlich über die «peinliche Berichterstattung bei der BILD-Zeitung» und kritisierte Marion Horns Umgang mit dem Fall Judy S. Am 03.06.2025 wurde das Video auch auf dem YouTube-Kanal von Massengeschmack-TV veröffentlicht.
- Mats Schönauer erwähnte in einem Video auf seinem YouTube-Kanal «Topf voll Gold» mit dem Titel «Krasse BILD-Fälschung aufgeflogen» kurz den Fall Judy S.
- Die Frankfurter Rundschau berichtete auf Seite 21 über eine weitere öffentliche Rüge des Deutschen Presserats gegen BILD im Fall Judy S.
Kapitel 6: Das Résumé
Vier Gerichtsverfahren in der ersten Instanz vor den Landgerichten in Köln, Hamburg und Berlin sowie ein Verfahren in zweiter Instanz vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht. Eine außergerichtliche Rekordentschädigung in Höhe von 150.000 Euro. Zahlreiche Abmahnungen auf Unterlassungen durch Fachanwälte für Medienrecht. Drei öffentliche Rügen gegen BILD und B.Z. und Mißbilligungen gegen den Berliner Kurier und gegen FOCUS-Online durch den Deutschen Presserat. Der Fall Judy S. hat bereits ein historisch einmaliges Ausmaß, auch wenn die Judy-Kommission noch auf sich warten läßt.