ARD Doku-Drama über Gruppe Reuß bleibt unscharf
Der Putschversuch einer Reichsbürger-Terrorgruppe um den Rädelsführer Heinrich XIII. Prinz Reuß umfasst «mehr als 425.000 Seiten Akten in 850 Ordnern» (Süddeutsche Zeitung vom 07.12.2023). Mehr als «400 Kriminalisten des BKA» (DER SPIEGEL vom 11.03.2023) führen die Ermittlungen und über 3.000 Polizeibeamte ware bei den Razzien am 7. Dezember 2022 im Einsatz, als die ersten 25 Terroristen verhaftet wurden (Kölner Stadt-Anzeiger vom 08.12.2022).
Das ARD Doku-Drama mit dem Titel «Schattenreich – Die Umsturzpläne der Reichsbürger» ist eine aufwändige und teure Produktion über die Gruppe Reuß mit vielen Schauspielern und Drehorten. Doch gezeigt werden die Schauspieler nur unscharf, um den Eindruck der Klandestinität der Konspiration zu verstärken. Zudem bleiben die schauspielerischen Szenen sehr oberflächlich.
«Terra X», «ZDF History» oder True Crime-Formate wie «Aktenzeichen XY … ungelöst» arbeiten auch mit dem Stilmittel Reenactment, aber zeigen die Schauspieler scharf.
Das aufwändige Reenactment in der Kulisse des Jagdschlosses Waidmannsheil in Saaldorf (ein Ortsname, den die Doku nicht einmal nennt) wertet die Bedeutung der Gruppe Reuß auf, gibt ihr eine Relevanz, auf die ihr Anführer Heinrich XIII. Prinz Reuß stolz sein kann und die ihm weitere Anhänger in die Arme treiben wird.
In der Reichsbürger-Szene wächst der Kult um Enrico, wie ihn seine Jünger ehrfurchtsvoll nennen, mit jeder Doku, die ihn dramatisiert. Wann kommt die zehn-teilige Netflix-Serie über Reichsbürger-Putschist Enrico, «der gefährlichste Terrorist seit Carlos, der Schakal»? Der von den Medien so geliebte Personenkult um Kriminelle bleibt ein Nährboden für Nachahmer und Trittbrettfahrer.
Die Kamera des Films schwebt über dem Anwesen von Heinrich XIII. Prinz Reuß, zeigt jedoch nicht die vergoldete Pyramide im Park des Jagdschlosses Waidmannsheil in Saaldorf, obwohl diese wichtig ist.
Die Bilder, die einen Waffenfund in Thüringen zeigen, sind nicht datiert und ihre Quelle wird nicht eingeblendet im Gegensatz zu anderen Archiv-Aufnahmen, die in der Sendung gezeigt werden. Daher entsteht beim Zuschauer der Eindruck, daß die Waffen im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die Gruppe Reuß sichergestellt wurden.
Von den 138 bei der Gruppe Reuß gefundenen Schusswaffen befanden sich mindestens 62 Schusswaffen legal im Besitz der Waffenhalter. Der rechtliche Status der übrigen 68 Schusswaffen wurde aufgrund der andauernden sowie noch anstehenden kriminaltechnischen Untersuchungen bisher nicht abschließend ermittelt.
138 Schusswaffen bei 70 Beschuldigten, unter denen etliche Jäger, Sportschützen, Polizeibeamte und Soldaten sind, also Personen, die beruflich oder privat Schusswaffen halten, ist eine überschaubare Anzahl von Waffen. Es stellt sich die Frage, wie ein Putsch, der laut Ermittlern kurz nach den Razzien vom 7. Dezember 2022 hätte durchgeführt werden sollen, mit 70 Beschuldigten und 138 Schusswaffen funktionieren kann? In Deutschland dienen ca. 180.000 Soldaten und ca. 330.000 Polizeibeamte, nur ein ganz geringer Bruchteil unter ihnen sympathisiert mit den Terroristen. Die Gruppe Reuß besteht aus größenwahnsinnigen Spinnern, die ihr Potential falsch einschätzte.
Zudem dienen in Deutschland ca. 1,8 Millionen Beamte, die wahre Macht im Staat. Dieses seit Jahrzehnten zuverläßig funktionierende bürokratische Millieu ist der Motor unseres demokratischen Rechtsstaats, der die freiheitlich demokratische Ordnung schützt und nicht einfach durch einen Putsch von 70 Beschuldigten zu stoppen.
Über die Angeklagten um Dr. Elisabeth Roth in Koblenz heißt es, sie hätten sich «Vereinte Patrioten» genannt, obwohl sie sich laut Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Kaiserreichsgruppe bezeichneten. Die Bezeichnung «Vereinte Patrioten» wurde ihnen von außen zugeschrieben.
Die Gruppe Reuß nennt der Film «Patriotische Union», gleichwohl ein Name unklarer Herkunft.
Der Eigenname ist laut Korrespondenz des Büros Reuß: «Expertenteam Patrioten» bzw. «Kompetenzteam der Patrioten» und laut Dr. Peter Frank, Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof und somit Chef der Bundesanwaltschaft «Gruppe Reuß».
Die Doku erwähnt nicht, daß in der Gruppe Reuß einen V-Mann, also eine Verbindungs- oder Vertrauenspersonen, gab. Auch wird die Rolle der Russin Vitalia Bondarenko nicht thematisiert, obwohl sie einen großen Einfluß auf Heinrich XIII. Prinz Reuß gehabt haben soll.
Daß der Film die Erhebungen der Anklagen gegen 27 der 69 Beschuldigten an den drei Oberlandesgerichten in Stuttgart, Frankfurt und München nicht erwähnt, liegt daran, daß diese Information erst durchgestochen wurde, als die Postproduktion bereits abgeschlossen war.
Man wünscht sich den Einsatz solch enormer behördlicher Ressourcen auch bei den Ermittlungen gegen andere Terrorgruppen. Auch das thematisiert die Sendung nicht. Wie schade, daß ein so aufwändig produziertes ARD Doku-Drama so unscharf bleibt.
Anstatt ein so großes Budget für Dreharbeiten mit Schauspielern bereit zu stellen, hätte die Produktion mehr Geld für Recherche ausgeben sollen, um die Bondarenko-Spur zu verfolgen.
OLG Koblenz Az. 1 St 2 BJs 141/22, Az. 127 E 2 19/23