Schlimmer als Relotius? Der Fall Judy S.

Published On: 29. April 2025

Der Fall Judy S. zeigt, was Hassrede in sozialen Netzwerken anrichtet, wenn sie es auf die Titelseite von Zeitungen schafft und die Beschuldigte in einem Strafverfahren an den Medien-Pranger gestellt wird. Bevor ich die Rolle einiger Akteuere betrachte, zunächst eine Chronologie der Ereignisse.

12.11.2024

  • Die Polizei Berlin schreibt in ihrer Polizeimeldung Nr. 2291, eine Polizeibeamtin habe «zwei Betroffene unter Drogen gesetzt. Anschließend sollen ohne ihr Einverständnis an ihnen sexuelle Handlungen vorgenommen worden sein.» Die Beschuldigte bleibt in der Polizeimeldung der Polizei anonym.
  • Die Polizei Berlin postet einen Beitrag zu ihrer Polizeimemeldung Nr. 2291 auf X.

20.11.2024

  • Die Polizei Berlin gibt intern bekannt, daß die Polizeimeisterin Judy S. die Wahl zur stellvertretenden Gesamtfrauenvertreterin gewonnen und eine Woche Zeit habe, diese anzunehmen.
  • Eine Mitarbeiterin der Polizei ruft bei der für Hasskriminalität zuständigen Stelle beim Landeskriminalamt an und stellt Anzeige wegen Hetze gegen Judy S., mit Verweis auf die Plattform X, gestreute Gerüchte und behördeninterne Vorfälle wie mit Bart und Penis übermalte Wahlplakate in einigen Dienststellen.

23.11.2024

  • BILD und B.Z. berichten über die gewählte Frauenvertreterin Judy S. und identifizieren sie durch die Abbildung von Fotos und die Nennung ihres Namens als die beschuldigte Polizeibeamtin aus der Polizeimeldung Nr. 2291 der Polizei. Zudem berichten BILD und B.Z. mehrere Falschbehauptungen über Judy S., unter anderem, daß sie einen Penis und habe zwei Bundespolizisten mit einer Penispumpe mißhandelt habe.
  • Polizeidirektor Florian Nath telefoniert mit einem Mitglied der BILD-Chefredaktion und weist auf die Falschbehauptungen hin. Ein BILD-Sprecher widerspricht dieser Darstellung.
  • Nius.de berichtet falsche Behauptungen über Judy S.
  • Auch Blick.ch berichtet falsche Behauptungen über Judy S.
  • Die Polizei Berlin bittet auf X, «Vorurteile und diskriminierende Narrative zu vermeiden».

24.11.2024

  • FOCUS-Online berichtet falsche Behauptungen über Judy S.

25.11.2024

  • BILD und B.Z. publizieren weitere Berichte mit Falschbehauptungen über Judy S.
  • Der BERLINER KURIER berichtet falsche Behauptungen über Judy S. Der Presserat mißbilligt diese Berichte im März 2025.

27.11.2024

  • Bis heute muss Judy S. entscheiden, ob sie die Wahl annimmt.
  • BILD publiziert einen weiteren Bericht mit falschen Behauptungen über Judy S. und skandalisiert ihre gewonnene Wahl, weil ein «Mann» nun Frauenvertreterin sei.
  • Nius.de verbreitet in einem weiteren Beitrag erneut mehrere Falschbehauptungen über Judy S.

28.11.2024

  • Die Polizei Berlin leitet eine interne Ermittlung ein wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen, weil Informationen über Judy S. an Unbefugte weitergegeben wurden.
  • Polizeidirektor Florian Nath legt die Berichterstattung der BILD und B.Z. beim LKA Berlin (Polizeilicher Staatsschutz) zur Prüfung auf Hasskriminalität vor.

01.12.2024

  • Judy S. beantragt am Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung gegen die Axel Springer Deutschland GmbH auf Untersagung der veröffentlichten Berichterstattungen.

20.12.2024

  • Die «BILD-Redaktion» entschuldigt sich für «handwerkliche Fehler». BILD und B.Z. löschen Online-Beiträge über Judy S.

30.01.2025

  • Die Staatsanwaltschaft Berlin stellt das Ermittlungsverfahren ein gegen Judy S. wegen eines mutmaßlichen Sexualdelikts. Es gibt keine Indizien für die Tat.

14.03.2025

  • BILD berichtet im Rahmen einer weiteren Entschuldigung erstmals: «Es gab keinen hinreichenden Tatverdacht gegen die ehemalige Beschuldigte».

18.03.2025

  • Der Deutsche Presserat rügt öffentlich BILD und B.Z. für ihre veröffentlichten Berichterstattungen.

20.03.2025

  • Der Tagesspiegel berichtet ausführlich über den Fall unter dem Titel: «Die verlorene Ehre der Judy S.».

17.04.2025

  • BILD und B.Z. publizieren eine «Richtigstellung Fall Judy S.».
  • Polizeidirektor Florian Nath löscht die Polizeimeldung Nr. 2291 vom 12.11.2024 und ein X-Posting dazu vom selben Tag.

Zur Polizei

In der Polizeimeldung Nr. 2291 vom 12.11.2024 steht: «Einsatzkräfte der Polizei Berlin durchsuchten gestern Abend aufgrund eines richterlich erwirkten Durchsuchungsbeschlusses die Wohnung einer 27-jährigen Polizeibeamtin, nachdem sich zuvor zwei Geschädigte auf einem Polizeiabschnitt gemeldet und Anzeige erstattet hatten. Die zwei geschädigten Personen hatten hierbei angegeben, gemeinsam mit weiteren Personen in der Wohnung der Schutzpolizistin gewesen zu sein. Im Rahmen des Zusammenseins seien die zwei Betroffenen unter Drogen gesetzt worden. Anschließend sollen ohne ihr Einverständnis an ihnen sexuelle Handlungen vorgenommen worden sein. Die Durchsuchungsmaßnahmen verliefen mit Erfolg. Die eingeleiteten Ermittlungen werden von einem Fachkommissariat für Sexualdelikte sowie einem Kommissariat für Beamtendelikte beim Landeskriminalamt geführt. Disziplinarrechtliche Maßnahmen werden eingeleitet, stehen jedoch in Abhängigkeit vom Ausgang des Strafverfahrens.»

Die Polizeimeldung war zunächst nur eine von mehreren, welche die Polizei Berlin täglich auf ihrer Internetseite veröffentlicht.

Zu dieser Meldung hat die Polizei allerdings am selben Tag auch einen X-Beitrag veröffentlicht: «Unsere Einsatzkräfte durchsuchten gestern Abend mit richterlichem Beschluss die Wohnung einer 27-jährigen Polizeibeamtin. Zuvor meldeten sich zwei Personen auf einem Polizeiabschnitt und gaben an, gemeinsam mit anderen in der Wohnung der Polizeibeamtin gewesen zu sein. Die beiden Personen seien dort unter Drogen gesetzt worden. Im Anschluss sollen ohne Einverständnis sexuelle Handlungen an ihnen vorgenommen worden sein. Die Durchsuchungsmaßnahmen verliefen mit Erfolg. Unser #LKA ermittelt.»

Die Polizei Berlin veröffentlicht nicht zu jeder Polizeimeldung einen X-Beitrag. Durch das Posting auf X erhielt die Meldung zusätzliche Reichweite. Der X-Beitrag zur Polizeimeldung wurde innerhalb von 22 Stunden über 232.900 mal gesehen.

Am 12.11.2024 wurde der X-Beitrag der Polizei von einigen Nutzern zunächst noch relativ harmlos kommentiert: «Das ist doch eine Szene aus ‹Pulp Fiction›» (Tom). Oder: «ich habe Fragen, fürchte aber die Antworten» (BLona).

Und noch wurde von einigen Nutzern das feminine Geschlecht der Beschuldigten betont: «Ich steh auf Frauen in Uniform. Kann ich mal ihre Telefonnummer haben» (Systemsprenger am 12.11.2024) sowie: «Auch Frauen können Schweine sein» (Sven am 13.11.2024).

Jedoch beginnen einige Nutzer bereits am 12.11.2025, die Weiblichkeit der Beschuldigten zu negieren und das X-Posting der Polizei mit transfeindlichen Bemerkungen zu teilen: «Habe den Text jetzt fünf Personen vorgelesen und alle sagten es handle sich bei der Beamtin mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen Mann… Wokeness hat immerhin dazu geführt, daß Menschen Polizeimeldungen nicht mehr trauen» (Liberta). Sowie: «Es war also…. ein Mann?» (Gregor). Und: «ist es eine Beamtin oder ‹Beamtin› ohne Menstruationshintergrund?» (Marie).

Melli schreibt am 13.11.2025: «In den Kommentaren 90% Zweifel an der Meldung bzgl Geschlecht. Zwei Wochen nach Einführung des #Selbstbestimmungsgesetz kein Wunder. Das Vertrauen ist zerstört. Danke für nichts.»

Und bummerer klagt am 13.11.2025: «Solche Meldungen sind keinen Pfifferling mehr wert, solange man nicht weiß, ob die ‹Polizeibeamtin› ein Mann oder eine Frau ist.»

Und am 14.11.2025 schreibt Loretta: «Man fragt sich ja schon, ob die Polizistin einen Penis hat».

Am 20.11.2024 gab die Polizei intern bekannt, daß die Polizeimeisterin Judy S. die Wahl zur stellvertretenden Gesamtfrauenvertreterin gewonnen und eine Woche Zeit habe, diese anzunehmen. Laut Tagesspiegel rief am selben Tag eine Mitarbeiterin der Polizei bei der für Hasskriminalität zuständigen Stelle beim Landeskriminalamt an und stellte Anzeige wegen Hetze gegen Judy S., mit Verweis auf die Plattform X, gestreuten Gerüchte und behördeninterne Vorfälle wie mit Bart und Penis übermalte Wahlplakate in einigen Dienststellen.

Nach den ersten Berichterstattungen über Judy S. durch BILD und B.Z. am 23.11.2024 brechen auf X alle Dämme und Nutzer teilen Fotos der Berichte unter dem X-Posting der Polizei vom 12.11.2024, verbunden mit vermehrt hämischen, transfeindlichen und vorverurteilenden Kommentaren, die menschenverachtend sind und die ich daher hier nicht wiedergeben möchte.

Mehrere Nutzer schreiben auf X, daß die erfundenen Falschbehauptungen über Judy S. in Wirklichkeit wahr wären und machen Stimmung gegen die Polizei Berlin, der vorgeworfen wird, in ihrer Kommunikation nach Außen zu lügen bzw. die vermeintliche Enthüllung der BILD und B.Z. mit vermeintlicher Lügenpropaganda vertuschen zu wollen.

Zum Beispiel Livia am 23.11.2024: «Die @polizeiberlin versteckt jeglichen Hinweis auf das wahre Geschlecht.»

Und ein Volljurist schreibt gar über die Beschuldigte: «Das ist der eigentliche Skandal: @polizeiberlin wird von vielen als Informationsaccount wahrgenommen. Kein Wort über den Hintergrund zu verlieren & den Täter als ‹Polizistin› zu klassifizieren hat mit Information nichts zu tun» (Christian).

Am 24.11.2024 heißt es: «@polizeiberlin, es ist ein Mann, der sich als Frau bezeichnet, der diese sexuellen Gewaltverbrechen begangen hat. Ein Mann! Und keine Frau! Bitte korrigieren Sie das für Ihre Kriminalstatistik» (woke=smoke).

Und am 25.11.2024 behauptet Franz: «Das war keine Beamtin, sondern ein verkleideter Mann».

  • Wie geht die Polizei Berlin um mit der Hassrede auf X?

«Unter dem polizeieigenen X-Beitrag wurden zahlreiche Antworten verborgen, sofern sie nach Einschätzung der Polizei Berlin nicht mehr der allgemeinen Meinungsfreiheit unterlagen. Bei eigenständigen Mentions ist das auf X jedoch nicht möglich», sagt Polizeidirektor Florian Nath, der neue Pressesprecher der Polizei Berlin, der im November 2024 nur wenige Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Judy S. seine Tätigkeit als Leiter der Pressestelle aufnahm.

Der Nutzer Hauptstadtbeamter widerspricht dem auf X: «Die Hasskommentare unter dem ‹auslösenden› Post der @polizeiberlin vom 12. November 2024 hat das ^tsm immer noch nicht ausgeblendet, obwohl es mehrmals darauf hingewiesen wurde. Aber hey, demnächst hissen sie wieder stolz die Rainbow Flag.»

Am 23.11.2024 veröffentlichte die Polizei Berlin «in Absprache mit den Vorgesetzten der tatverdächtigen Polizeibeamtin umgehend und aktiv», so Nath, einen weiteren X-Beitrag zu der Meldung Nr. 2291 mit der Bitte, Falschbehauptungen zu unterlassen und die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen zu wahren. Der Wortlaut des X-Beitrags vom 23.11.2024 lautet:

«Zu einem Ermittlungsverfahren, das wir bereits am 12.11. offiziell bekannt gegeben haben, kursieren in den Medien und im Netz diverse Gerüchte über Tathergang und Beteiligte. Bis zu einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung gilt auch hier die Unschuldsvermutung. Die Polizeibeamtin befindet sich aktuell nicht im Dienst, auch ein Disziplinarverfahren wurde eingeleitet. Wir bitten Sie, ihre Persönlichkeitsrechte und auch die der weiteren Beteiligten zu wahren, Vorurteile und diskriminierende Narrative zu vermeiden.»

Der X-Beitrag vom 23.11.2024 wurde bis heute 97.247 mal gesehen und hat somit weniger als die Hälfte an Aufrufen als der erste X-Beitrag vom 12.11.2024 innerhalb von 22 Stunden erhielt.

Nath sagt, er habe nach den Veröffentlichungen der Falschberichte in BILD und B.Z. «mehrfach telefonisch darauf hingewiesen, daß die Inhalte der Berichterstattung über die erste Polizeimeldung der Polizei hinaus in den von der BILD veröffentlichten Details insgesamt nicht zutreffend sind». Auf die konkrete Nachfrage hin, mit wem Nath telefoniert habe, entgegnet der Leiter der Pressestelle: «Von hier aus wurde mit einem Mitglied der Chefredaktion der veröffentlichenden Zeitung gesprochen und auf die Falschbehauptungen hingewiesen.»

Ein BILD-Sprecher widerspricht dieser Darstellung. Auf die Frage, wer in der Chefredaktion einen Anruf von der Pressestelle der Polizei Berlin erhalte habe, antwortete der BILD-Sprecher: «Niemand. Die Polizei wurde vor der Veröffentlichung der Texte mit dem Vorwurf konfrontiert und um eine Stellungnahme gebeten, sie hatte sich dazu nicht geäußert. Ein nach Medienberichten anscheinend erfolgter telefonischer Hinweis dazu hatte redaktionell Verantwortliche nicht erreicht.»

Zudem leitete die Polizei Berlin am 28.11.1024 ein Verfahren ein wegen Hasskriminalität. Die Pressestelle der Polizei hat die gesamte Berichterstattung dem polizeilichen Staatsschutz zur Prüfung auf Hasskriminalität vorgelegt. «Diese Vorlage ist durch mich im Zuge der Berichterstattung der BILD BZ beim LKA Berlin (Polizeilicher Staatsschutz) gegen die für den Berichtinhalt verantwortliche Redakteurin erfolgt», bestätigt Nath. Für die Redakteurin gilt die Unschuldsvermutung.

Die Polizei Berlin hat zudem ein internes Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses gegen Unbekannt eingeleitet.

Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen Judy S. nur noch hinsichtlich eines mutmaßlichen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, sagt Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner, Pressesprecher der Strafverfolgungsbehörden in Berlin. Gegen die Polizeimeisterin Judy S. besteht weiterhin ein Verbot der Führung der Dienstgeschäfte. Für sie gilt die Unschuldsvermutung.

Am 17.04.2025 löschte Nath die Polizeimeldung Nr. 2291 vom 12.11.2024 und das X-Posting vom selben Tag. Die Löschungen seien seine persönliche Entscheidung gewesen, sagt Nath und er begründet sie wie folgt: «Die erste polizeiliche Berichterstattung im Zuge des sogenannten Ersten Angriffs bezog sich auf das zur Anzeige gebrachte, angeblich sexuell motivierte Delikt. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hierzu sind eingestellt worden. Insbesondere im Kontext der massiven Falschbehauptungen durch eine Boulevardzeitung habe ich daraufhin entschieden, daß die dem meldebezogen zugrundeliegende, erste polizeiliche Berichterstattung gelöscht wird.»

Zu den Medien

BILD und B.Z. berichteten unter anderem folgende falsche Tatsachenbehauptungen über Judy S.:

  1. Judy S. sei ein «Mann» und habe einen «Penis». Richtig ist, daß sie von Geburt an eine Frau ist und ihr Penis eine reine Erfindung.
  2. Judy S. sei «Trans» und habe einen «Wechsel ihrer Geschlechtsidentität» durchgeführt. Das ist ebenfalls frei erfunden.
  3. Judy S. habe «zwei Bundespolizisten» sexuell missbraucht und mit einer «Penispumpe» gequält. Richtig ist, daß Judy S. gar keine Penispumpe besitzt, es diese «zwei Bundespolizisten» gar nicht gibt und Judy S. demnach die zwei «Bundespolizisten» weder sexuell missbraucht noch gequält hat.

Weitere berichtende Medien wie Nius, Blick, FOCUS und der BERLINER KURIER haben diese falschen Behauptungen zumindest in Teilen aufgegriffen und verbinden diese im Falle von Nius mit einer transfeindlichen Kampagne.

Die B.Z. (Verkaufte Auflage 70.450, Exemplare, Reichweite 0,24 Millionen Leser) publizierte zwei Falschberichte:

  • Am 23./24.11.2024 auf Seite 1: «Polizistin soll Kollegen mit Penispumpe missbraucht haben: Sie lernten sich im KitKatClub kennen», Fortsetzung auf Seite 6: «Polizistin soll Kollegen mit Penispumpe missbraucht haben: Sie kandidierte als Frauenvertreterin für die Berliner Polizei».
  • Am 25.11.2024 auf Seite 5: «Beamtin unter Missbrauchsverdacht: Kaum jemand wußte, daß die Polizistin einen Penis hat».

Redakteurin: Nicole Biewald. Chefredakteur: Jan Schilde. Stellvertretende Chefredakteurin: Larissa Hoppe.

BILD (Verkaufte Auflage 890.362 Exemplare, Reichweite 6,9 Millionen Leser) publizierte drei Falschberichte in ihren Berlin/Brandenburg-Ausgaben sowie in ihren Bundesausgaben:

  • Am 23.11.2024 auf Seite 8: «Polizistin soll Kollegen mit Penispumpe gequält haben: Sie kandidierte als Frauenvertreterin für die Berliner Polizei».
  • Am 25.11.2024 auf Seite 6:«Missbrauchsverdacht: Kaum jemand wusste, daß die Polizistin einen Penis hat».
  • Am 27.11.2024 auf Seite 6: «Trans-Polizistin zur Frauenvertreterin gewählt! Sie soll Kollegen mit Penispumpe gequält haben».

Redakteurin: Nicole Biewald. Chefredakteure: Marion Horn und Robert Schneider.

Es ist üblich, daß Titelgeschichten auch auf den Teaser-Plakaten an den Verkaufsstellen angerissen werden. Dies war am 23.11.2024 für B.Z. wie BILD Berlin-Brandenburg der Fall, jedoch nicht an den anderen Tagen der Berichterstattung über Judy S. Zudem haben BILD-Online/BILD+ sowie B.Z.-Online jeweils mehrmals über Judy S. publiziert (B.Z.+ gibt es nicht).

Am 27.11.2024 hat die B.Z., eine Berliner Lokalausgabe der BILD-Zeitung im handlichen Tabloid-Format, nicht mehr über Judy S. berichtet, obwohl der Fall ein typisches Berliner Lokalthema ist und bundesweit eher unbeachtet geblieben ist. Ausschließlich BILD berichtet am 27.11.2024 weiterhin über Judy S. und dies sogar weiterhin in ihrer Bundesausgabe. Ein BILD-Sprecher erläutert dazu auf Nachfrage: «Die Berichte zu Judy S. erhielten in Folge verstärkt bundesweite Aufmerksamkeit und waren insofern nicht mehr ein reines Berliner Lokalthema.» Diese Erklärung ist nicht ganz nachvollziehbar. Wenn ein Berliner Lokalthema «verstärkt bundesweite Aufmerksamkeit» erfahre, wie der BILD-Sprecher ausführt, dann müsste die Berliner Lokalausgabe der BILD-Zeitung den Gesetzen des Pressemarktes folgend erst recht darüber berichten.

Am 23.11.2024 übernahm Nius.de unter dem Titel «Kriminalität: Zuvor kandidierte sie als Frauenvertreterin: Transfrau-Polizistin soll Kollegen missbraucht haben» Teile der Falschberichte. Am 27.11.2024 berichtete Nius.de unter dem Titel «Sexualstraftäter wird ‹Frauenvertreterin›: Wie der Staat sein Schutzversprechen gleich doppelt bricht» erneut falsche Behauptungen über Judy S. Autorin: Pauline Voss. Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes (V.i.S.d.P.): Julian Reichelt, ehemaliger BILD-Chefredakteur.

Am 23.11.2024 übernahm Blick.ch Teile der Falschberichte unter dem Titel «Skandal in Berlin: Polizistin (27) soll Kollegen mit Penispumpe missbraucht haben». Autoren: Johannes Hillig (Redaktor News) und BliKI (Der intelligente Helfer). Chief Content Officer: Steffi Buchli. Chief Digital Officer: Sandro Inguscio.

Am 24.11.2024 übernahm FOCUS-Online Teile der Falschberichte unter dem Titel «Lernten sich in Berliner Sex-Club kennen: Polizistin (27) soll Kollegen unter Drogen gesetzt und schwer missbraucht haben». Der Bericht ist mit dem Kürzel «dvo» gezeichnet. Chefredakteur: Florian Festl.

Der BERLINER KURIER übernahm am 25.11.2024 unter dem Titel «Polizistin soll Kollegen missbraucht haben: Nach Sex-Party im Kitkat-Club. Jetzt ermitteln die Kollegen der Berliner Polizei» Teile der Falschberichte. Autorin: Veronika Hohenstein. Chefredakteur: Michael Heun.

Am 20.03.2025 publizierten Ann-Kathrin Hipp und Alexander Fröhlich im Tagesspiegel eine ausführliche Rekonstruktion des Falles mit dem Titel «Die verlorene Ehre der Judy S. Unhaltbare Vorwürfe und ein erfundener Penis: Wie die ‹Bild› und Polizisten den Ruf einer Berliner Beamtin zerstörten» (Seite 1 und Seiten B10 bis B12).

Zu den Entschuldigungen

Die erste Entschuldigung publizierte BILD-Online am 20.12.2024:

«In eigener Sache: BILD bittet um Entschuldigung

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

seit dem 23. November hat BILD an mehreren Tagen über eine Berliner Polizistin berichtet, gegen die ein Ermittlungsverfahren läuft. Die Artikel erschienen sowohl online auf bild.de als auch in der gedruckten BILD-Zeitung sowie in der BZ.

Dabei sind uns handwerkliche Fehler unterlaufen, die uns nicht hätten passieren dürfen.

Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler – und Fehler passieren auch in der BILD-Redaktion! Daher möchten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ganz offen sagen: Wesentliche Fakten der Berichterstattung über die Polizistin sind unzutreffend, wodurch wir sie leider in ein falsches Licht gerückt haben.

Dafür möchten wir in erster Linie die betroffene Beamtin, aber natürlich auch Sie um Entschuldigung bitten.

Ihre BILD-Redaktion»

Die zweite Entschuldigung publizierte BILD-Online am 14.03.2025:

«In eigener Sache: BILD bittet Beamtin um Entschuldigung

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

im November 2024 berichtete BILD an mehreren Tagen über eine Berliner Polizistin, gegen die ein Ermittlungsverfahren lief. Die Artikel erschienen sowohl online auf bild.de als auch in der gedruckten BILD-Zeitung sowie in der B.Z.

Leider sind uns bei der Berichterstattung handwerkliche Fehler unterlaufen. Das bedauern wir außerordentlich.

Daher sagen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ganz klar und offen: Wesentliche Fakten der Berichterstattung über die Polizistin waren unzutreffend, wodurch wir sie leider in ein falsches Licht gerückt haben.

Das Ermittlungsverfahren gegen die Beamtin wurde am 30. Januar 2025 eingestellt. Grund: Es gab keinen hinreichenden Tatverdacht gegen die ehemalige Beschuldigte.

Wir bitten die Beamtin, aber natürlich auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, um Entschuldigung. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Trotzdem, das hätte uns nicht passieren dürfen.

Marion Horn, BILD-Chefredakteurin»

Zur Richtigstellung

Folgende Richtigstellung hat BILD publiziert: «BILD hat im November 2024 in mehreren aufeinanderfolgenden Berichten Falschbehauptungen über die Berliner Polizistin ‹Judy S.› verbreitet. Wir haben berichtet, daß Judy S. in Wirklichkeit eine Transfrau sei. Sie habe beim Sex in ihrer Wohnung zwei Männer unter Drogen gesetzt und missbraucht, unter anderem mit einer Penispumpe. Keine dieser Behauptungen war zutreffend. Sie sind widerlegt. Der Redaktion ist bewusst, daß sie Judy S. mit ihrer Berichterstattung großen Schaden zugefügt hat. Dafür bittet sie Judy S. um Entschuldigung. Die Redaktion»

Die Richtigstellung erschien am 17.04.2025 auf Seite 1 in der BILD Berlin/Brandenburg-Ausgabe und auf Seite 3 in der BILD-Bundesausgabe (mit kleinem Hinweis auf der Titelseite der BILD-Bundesausgabe).

Die B.Z. druckte am 17.04.2025 auf Seite 1 eine entsprechende Richtigstellung:

Auch BILD-Online und B.Z.-Online publizierten eine Richtigstellung, zunächst für einige Stunden sogar auf der Startseite.

Bereits am 16.04.2025 kündigte Horn auf LinkedIn an:

«BILD steht für Klartext. Für Haltung. Für Mut zur Wahrheit

Mut zur Wahrheit bedeutet auch: Wenn wir Fehler machen, dann stehen wir dazu. Im Fall ‹Judy S.› haben wir versagt. Punkt.

Es tut weh, das so klar hinzuschreiben. Denn ich weiß, wie hart und exzellent mein Team arbeitet. Aber über Judy S. haben wir komplett falsche Informationen verbreitet. 

Darum bitten wir die Beamtin am 17. April erneut – klar und öffentlich – um Entschuldigung. 

– Hauptschlagzeile Seite 1 der BZ 

– Prominent auf der Titelseite von BILD-Berlin

– Aufmacher auf Seite 3 der Bundesausgabe

– den ganzen Tag groß auf BILD.de

Unser Ziel ist klar: Wirklich alle unsere Leserinnen und Leser sollen diese Richtigstellung lesen. Denn unsere falsche Berichterstattung tut uns aufrichtig leid. Wir übernehmen Verantwortung. Persönlich und finanziell.

BILD mag manchmal zu laut oder zu albern oder zu streng sein. Aber wir stehen für Journalismus, der exklusive Nachrichten produziert. Nicht umsonst führen wir mit Abstand vor allen anderen Medien im Zitate-Ranking von MediaTenor.

Wenn wir Fehler machen, dann stehen wir dafür gerade. Ohne Ausflüchte. Ohne Relativierung. Davon kann sich jeder überzeugen. Bitte, liebe Judy S., vielleicht können Sie unsere Entschuldigung irgendwann annehmen. Das würde meinen Kollegen und mir sehr viel bedeuten.»

Maike Klebl, BILD Nachrichtenchefin und Mitglied der Chefredaktion, teilte Horns Beitrag auf LinkedIn mit der Anmerkung: «Wir können diese Geschichte leider nicht ungeschehen machen. Nur die betroffene Polizistin und unsere Leserinnen und Leser aufrichtig um Verzeihung bitten – und Wiedergutmachung leisten, wo wir können.»

Tagesspiegel-Redakteur Alexander Fröhlich kommentierte Horns Beitrag wie folgt:

«Es war ein langer Weg, es ist ein nahezu einmaliger Fall in der deutschen Mediengeschichte. Daß Springer nun 150.000 Euro an Judy S. zahlt, ist anzuerkennen. Eine Rekordentschädigung, die Prof. Dr. Christian Schertz im außergerichtlichen Vergleich erstritten hat. Ob das Judy S. hilft, ob sie in ihren Job als Beamtin der Polizei Berlin zurückkehren kann, wird sich zeigen.

Und Fragen bleiben: Wird Springer die Autorin der Stücke über Judy S. in Regress nehmen?

Welche Rolle spielten die privaten Verbindungen der Autorin zur und ihr Freizeit-Engagement für die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG)? Wir bleiben dran. 

Gemeinsam mit Ann-Kathrin Hipp habe ich im März für den Verlag Der Tagesspiegel den Fall rekonstruiert. Der Fall bekam dadurch deutschlandweit Aufmerksamkeit. Nun berichten wir über die historische Richtigstellung und die Entschädigung.»

Marvin Schade schreibt im medieninsider-Lese-Letter zur Wochenmitte der Kalenderwoche 17/2025:

«Daß die Recherche zur Recherche dringend und ernsthaft erfolgen muss, zeigt auch der Verdacht, der Bild-intern über die Flure geht und von jemandem aus der Redaktion so zusammenfasst wird: ‹Vielleicht gab es auch keine richtigen Nachfragen, weil die Geschichte über eine vergewaltigende trans Frau halt ins Weltbild einiger Verantwortlicher gepasst hat.›

Gedanken wie diese zeigen auch, dass die Chefredaktion schon allein aus Selbstschutz eine ordentliche Aufklärung anstoßen muss. Aber nicht durch interne Teams.»

Wie meist nennt der medieninsider nicht den Namen seiner Quelle.

Zur Entschädigung

BILD habe Judy S. laut Tagesspiegel 150.000 Euro gezahlt. Die Rekordentschädigung, die BILD jemals zahlte, ist ein Betrag in Höhe von «mehr als 530.000 Euro», den Jörg Kachelmann von BILD erhielt. Zwischen den Entschädigungen, die Kachelmann und Judy S. von der BILD erhalten haben, liegen ca. 400.000 Euro.

Zu den Rechtsanwälten

Judy S. wird von Christian Schertz und Guido Fickenscher vertreten.

Christian Schertz ist der Sohn von Georg Schertz, dem langjährigen Polizeipräsidenten in Berlin.

Fickenscher lehrt Eingriffsrecht (Polizeirecht, Strafprozessrecht) an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg.

Judy S. beantragte über Schertz am Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung gegen die Axel Springer Deutschland GmbH auf Untersagung der veröffentlichten Berichterstattungen in Wort und Bild in den gedruckten Zeitungen als auch auf deren Online-Auftritten (Az. 28 O 279/24).

Judy S. stellte über Schertz auch eine Strafanzeige gegen mögliche Verantwortliche der Axel Springer Deutschland GmbH wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz. Die Prüfung eines Anfangsverdachts durch die Staatsanwaltschaft Berlin dauert an. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Zur Redakteurin

Nicole Biewald, Redakteurin der Falschberichte über Judy S. in BILD und B.Z., ist verheiratet mit Polizeioberkommissar Kay Biewald, laut einer Google-Recherche: 1.) Mitglied des Kreisverbandes Direktion Einsatz/Verkehr der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Landesverband Berlin, 2.) Mitglied des Landeshauptvorstandes der DPolG Landesverband Berlin, und 3.) Mitglied im Gesamtpersonalrat der Polizei Berlin. Laut eines BILD-Sprechers sei die Beziehung zwischen Nicole und Kay Biewald öffentlich bekannt.

Zudem soll Nicole Biewald laut Tagesspiegel die Tätigkeit der DPolG unterstützen, «sowohl bei Pressemitteilungen als auch bei Großeinsätzen wie am 1. Mai, wenn die Gewerkschaft Verpflegung an Beamte verteilt.»

Judy S. gewann die Wahl für das Amt der Stellvertreterin der Gesamtfrauenvertreterin in der Polizei Berlin, allerdings nicht als Kandidatin der DPolG. Sollte durch die Publikation der Falschberichte medialer Druck auf Judy S. aufgebaut werden, die Wahl nicht anzunehmen? Nachdem Judy S. gewählt wurde, war es ausgerechnet die Redakteurin, die mit einem hohen DPolG-Funktionär verheiratet ist, welche die Berichte mit falschen Behauptungen über Judy S. verfasst hat. Für Nicole Biewald gilt die Unschuldsvermutung.

Zur Gewerkschaft

Der Tagesspiegel berichtet über folgendes Gerücht: Eine Polizeibeamtin an der Polizeiakademie, eine hochrangige Funktionärin bei der DPolG mit Ambitionen auf Posten wie den der Frauenvertreterin, die dem Tagesspiegel namentlich bekannt sei, soll vor Kollegen immer wieder über Judy S. gesprochen haben. Etwa davon, daß Judy S. einen Penis habe und Frauen in der Damenumkleide, Damensauna und Damendusche «vor so jemandem geschützt» werden müssten.

Die DPolG Landesverband Berlin nimmt am 21.03.2025 Stellung zur Berichterstattung des Tagesspiegel, «die ohne fundierte Fakten über die Arbeit und die Entscheidungen der DPolG und ihrer Vertreter spekulieren. In einer Zeit, in der präzise Informationen und verantwortungsvolle Berichterstattung von größter Bedeutung sind, ist es unerlässlich, daß die Öffentlichkeit auf verlässliche Quellen zugreifen kann.

Folgende Punkte möchten wir klarstellen:

  1. Die DPolG Berlin hat sich zu dem Sachverhalt nie geäußert und wird dies auch nicht tun.
  2. Es handelt sich um unseriösen Journalismus, da ohne fundierte Fakten spekuliert wird, was die DPolG Berlin und ihre Vertreter angeblich falsch gemacht haben.
  3. Der DPolG Berlin sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten von Funktionsträgern der DPolG Berlin bekannt. Der Tagesspiegel behauptet dies auch nicht, sondern bleibt in seiner Formulierung ‹Eine Rolle sollen dabei auch Funktionäre der DPolG Berlin spielen› vage.
  4. Da sich diese Vorverurteilung ohne Fakten schon in den Presseanfragen abzeichnete, haben wir einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung unserer Interessen betraut. Dieser hat klargestellt, daß der DPolG Berlin nichts vorzuwerfen ist und man diesen Eindruck auch nicht erwecken darf.
  5. Soweit unwahre Behauptungen über konkrete Mitglieder der Gewerkschaft oder aus dem Vorstand der DPolG Berlin gemacht, oder sie persönlich angegriffen werden, steht der Landesverband bereit, diese juristisch zu unterstützen.»

Zum Presserat

Am 18.03.2025 rügte der Beschwerdeausschuss 1 des Deutschen Presserats BILD, BILD-Online (Az. 1052/24/1-BA) und B.Z. (Az. 1174/24/1-BA) wegen Verstoß gegen die Ziffern 8 (Schutz der Persönlichkeit) und 13 des Pressekodex (Unschuldsvermutung).

Der Presserat teilte dazu mit: «Die Redaktionen der BILD-Medien und der B.Z. erhielten Rügen wegen vorverurteilender Berichte über Vorwürfe gegen eine Polizistin. Sie behaupteten, die angebliche Trans-Frau solle zwei Kollegen sexuell missbraucht haben und schilderten detailgenau die mutmaßlichen Umstände. Jedoch stützte sich die Berichterstattung lediglich auf einen Anfangsverdacht und nicht auf hinreichende Anknüpfungspunkte. Die Beiträge waren zudem mit einem Plakat bebildert, mit dem die Beschuldigte für ein Amt bei der Polizei kandidiert hatte. Das Foto war lediglich mit einem Augenbalken versehen. Auch der Vorname und Anfangsbuchstabe des Nachnamens machten die Betroffene nach Ansicht des Presserats identifizierbar. In Verbindung mit den Vermutungen über ihre Trans-Identität und den schweren Vorwürfen gegen sie verstießen die Berichte massiv gegen den Persönlichkeitsschutz der Polizistin nach Ziffer 8 des Pressekodex. Die vorverurteilende Berichterstattung verletzte zudem die Unschuldsvermutung nach Ziffer 13.»

Ebenfalls am 18.03.2025 sprach der Beschwerdeausschuss 1 gegen den BERLINER KURIER eine Missbilligung aus wegen Verstoß gegen die Ziffer 2 (Sorgfalt) des Pressekodex (Az. 1176/24/1-BA). In den Erwägungen des Ausschusses heißt es: «Die Mitglieder Erkennen einen Verstoß gegen die journalistische Sorgfalt…Zwar macht die Redaktion die Vorwürfe gegen die Polizistin als Informationen kenntlich, die sie aus einer anderen Zeitung übernommen hat. Jedoch hätte sie angesichts der Schwere der Vorwürfe selbst der Betroffenen eine Chance geben müssen, auf die Anschuldigungen zu reagieren. Eine Stellungnahme hat die Redaktion jedoch offenbar nicht bei der Beschuldigten eingeholt…»

Carolin Gasteiger berichtete am 25.03.2025 in der Süddeutschen Zeitung über die Rügen des Presserats gegen BILD und B.Z.

Beim Deutschen Presserat sind weitere Beschwerden anhängig gegen FOCUS-Online (Az. 0304/25/1), gegen die B.Z. (Az. 0306/25/1) sowie gegen BILD (Az. 0328/25/1).

Beim Schweizer Presserat ist eine Beschwerde gegen Blick.ch anhängig.

Der Deutsche Presserat prüft anläßlich der Beschwerden gegen B.Z. (Az. 0306/25/1) und BILD (Az. 0328/25/1) unter anderem auch, ob die Redakteurin ihre Tätigkeiten getrennt hat. Die Veröffentlichungen der Berichte legen einen möglichen Interessenkonflikt der Redakteurin, die sich für die DPolG engagiert, nicht offen.

In Richtlinie 6.1 – Interessenkonflikte des Pressekodex steht:

«(1) Üben journalistisch … Tätige neben der publizistischen Arbeit zusätzliche Funktionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus, müssen alle Beteiligten für eine strikte Trennung dieser Funktionen sorgen. Dies gilt sinngemäß auch für persönliche Beziehungen oder Verflechtungen, sofern diese Zweifel an der erforderlichen Unabhängigkeit einer Berichterstattung begründen können. Dabei ist zu beachten, dass bereits der Eindruck einer interessengeleiteten Veröffentlichung der Glaubwürdigkeit und dem Ansehen der Presse schaden kann.

(2) Sofern aufgrund objektiver Anhaltspunkte ein Interessenkonflikt naheliegt, sollen betroffene Personen nicht an der journalistisch-redaktionellen Bearbeitung des jeweiligen Gegenstands mitwirken, es sei denn, der mögliche Interessenkonflikt wird gegenüber der Leserschaft offengelegt.»

Über den Ausgang der anhängigen Verfahren werde ich zu gegebener Zeit an dieser Stelle berichten.

Zur Medienaufsicht

Wer redaktionell-journalistisch arbeitet, trägt eine hohe Verantwortung gegenüber Lesern. Mit Inkrafttreten des neuen Medienstaatsvertrags im November 2020 haben die Landesmedienanstalten die Aufgabe erhalten, gegen die Missachtung journalistischer Sorgfaltspflichten und die damit verbundene Verbreitung von Desinformation im Internet vorzugehen. Das gilt vor allem, wenn diese Telemedien geschäftsmäßig angeboten werden und regelmäßig Nachrichten oder politische Informationen verbreiten und nicht dem Presserat oder einer anderen Selbstkontrolleinrichtung unterliegen. Daher prüft die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) die Berichterstattung über Judy S. auf Nius.de.

Am 23.11.2024 berichtete Nius.de unter dem Titel: «Kriminalität: Zuvor kandidierte sie als Frauenvertreterin: Transfrau-Polizistin soll Kollegen missbraucht haben» erstmals über Judy S.

Am 27.11.2024 berichtete Nius.de unter dem Titel «Sexualstraftäter wird ‹Frauenvetreterin›: Wie der Staat sein Schutzversprechen gleich doppelt bricht» nochmals über Judy S.

Bereits die Überschrift ist falsch: «Sexualstraftäter wird ‹Frauenvertreterin›». Richtig ist: Als Nius.de den Beitrag publizierte, bestand zwar noch ein Anfangsverdacht gegen Judy S. wegen eines mutmaßlichen Sexualdelikts. Um die Betroffene als «Sexualstraftäter» bezeichnen zu dürfen, bedürfte es nach der gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK auch in Deutschland geltenden Unschuldsvermutung ihrer rechtskräftigen Verurteilung. Diese rechtskräftige Verurteilung gab es nicht zum 27.11.2024, daher hätte Nius.de die Betroffene nicht als «Sexualstraftäter» bezeichnen dürfen.

Die Betroffene ist eine Frau. Daher darf Nius.de für die Betroffene nicht das maskuline Nomen nutzen. Nius.de nutzt das Substantiv mit Absicht im falschen Genus, um Stimmung gegen Menschen mit Trans-Hintergrund zu machen und die bereits in der Überschrift die falsche Nachricht zu transportieren, ein Mann werde «Frauenvertreterin›».

In der Bildunterschrift berichtet Nius.de falsch: «‹Polizistinnen› wie Judy S.». Da Judy S. eine Frau ist, steht die Berufsbezeichnung «Polizistinnen» falsch in Anführungszeichen inBezug auf Judy S.

Zudem ist Judy S. auf zwei Abbildungen identifizierbar. Daher verletzen die Abbildungen die Persönlichkeitsrechte von Judy S.

Und im Beitrag heißt es weiterhin: «Ein Polizist, der als sogenannte Trans-Frau lebt und auf den Namen Judy S. hört, soll zwei Bundespolizisten unter Drogen gesetzt und unter anderem mithilfe einer Penispumpe misshandelt haben. In ihrer Anzeige gaben die Polizisten laut Bild an, nicht gewusst zu haben, daß es sich bei S. um einen Mann handelte. Nun wurde S. auch noch zur zweiten stellvertretenden Gesamtfrauenvertreterin der Berliner Polizei gewählt. Anscheinend wussten auch viele Polizistinnen bei der Wahl nicht, dass S. ein Mann ist. Er bekam 638 Stimmen.»

Richtig ist, daß Judy S. eine Polizistin und kein Polizist ist und eine Frau und kein Mann (und auch keine Trans-Frau). Daher ist es auch falsch, Judy S. mit dem maskulinen Pronomen «er» zu bezeichnen. Richtig ist das feminine Pronomen «sie».

Weder setzte Judy S. «zwei Bundespolizisten unter Drogen» noch hat sie diese «mithilfe einer Penispumpe misshandelt». Diese Vorwürfe sind frei erfunden und widerlegt. Nius.de unterließ, die Betroffene mit den konkreten Vorwürfen zu konfrontieren und verletzte dadurch die presserechtlichen Pflichten bei Verdachtsberichterstattung und die Persönlichkeitsrechte von Judy S. Für die Vorwürfe gibt es keine privilegierte Quelle, sondern lediglich die BILD als Quelle. Nius.de macht sich somit die Falschberichte der BILD in Teilen zu eigen, ohne die Vorwürfe vor der Veröffentlichung sorgfältig zu prüfen.

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