Jordanischer Student erschoß sich im Hanseatic Gun Club

Published On: 24. Dezember 2023

Rechercheprotokoll zum Tod des jordanischen Studenten Muhammad Osama Barakat (21), der sich am 19.12. im Hanseatic Gun Club erschoß. Obwohl Polizei Hamburg und Staatsanwaltschaft von Suizid ausgehen, verbreiten arabische Medien noch immer falsche Angaben.

Mich erreichten erstmals am 23.12. mehrere Nachrichten aus arabischen Medien, daß ein 21-Jahre junger jordanischer Student aufgrund seines pro-palästinensischen Engagements in Hamburg ermordet worden sei. Als Quelle wird häufig Tarek Baé, ein Influencer in Deutschland genannt. Die Nachrichten kamen mir komisch vor und ich recherchierte dazu und fragte noch am 23.12. die Polizei Hamburg dazu an.

Inzwischen zog die Nachricht vom vermeintlich ermordeten Studenten rweite Kreise und erschien in unzähligen arabischen Medien.

Die Polizei Hamburg wußte zwar bereits von einem «Unfall» am 19.12. im Hanseatic Gun Club, brachte diesen jedoch noch nicht in Verbindung mit der international verbreiteten Nachricht über den vermeintlich ermordeten jordanischen Studenten.

Der Hanseatic Gun Club war zuletzt in den Schlagzeilen, weil Philipp Fusz dort das Schießen lernte, bevor er einen erweiterten Suizid mit 135 Schüssen im Königreichssaal der Zeugen Jehovas beging. Im April 2023 gab es auf der Schießanlage eine Razzia.

Als erstes berichtete das Hamburger Abendblatt am 19.12. (online) und in seiner Ausgabe vom 20.12. auf Seite 7 in einer kurzen Meldung über die Schussverletzung einer Person im Hanseatic Gun Club. Zum Zeitpunkt der Berichterstattung lebte der Patient offenbar noch.

Der Journalist und Waffensachverständige Lars Winkelsdorf schrieb am 19.12.: «Suizidversuch im Hanseatic Gun Club, ein Teilnehmer einer Ausbildung soll sich selbst in den Kopf geschossen haben.»

Am 23.12. bestätigte Jordanien, daß ein Jordanier in Hamburg gestorben sei. Das Aussenministerium in Amman erklärte, die jordanische Botschaft in Berlin verfolge diese Sache, in Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden.

Das ist völlig normale Routine in einem solchen Todesfall, heizte die Spekulationen jedoch zusätzlich an.

Am 23.12. schrieb die Polizei Hamburg: «Aktuell kursiert in den sozialen Medien eine Meldung, wonach ein jordanischer Student in Hamburg ermordet worden sein soll. Uns ist weder dieser Sachverhalt bekannt, noch gibt es Hinweise auf ein Tötungsdelikt, welches hiermit in Zusammenhang gebracht werden kann.

Aktuell gehen wir davon aus, dass es sich um Fake-News handelt. Bitte verbreitet Meldungen mit derartigen Inhalten nicht weiter.»

Direkt auf den Tod von Barakat angesprochen, antwortete die Polizei Hamburg am 23.12.: «Uns ist kein Tötungsdelikt bekannt, welches mit dieser Meldung in Zusammenhang gebracht werden kann.»

Die Kommunikations-Wende im Todesfall Barakat

Am 24.12. kam die Kommunikations-Wende und die Polizei hat mir gegenüber nach wiederholter Nachfrage erstmals bestätigt, daß es Barakat war, der sich am 19.12. durch Schussverletzung im Hanseatic Gun Club verletzte. Er sei vor dem 22.12. im Krankenhaus gestorben an den Folgen der Schussverletzung, die er sich selber zugefügt habe, in der Absicht, einen Suizid zu vollziehen. Ein genaueres Todesdatum als «vor dem 22.12.» war nicht in Erfahrung zu bringen.

Aufgrund des Wochenendes am 23.12. und Heiligabend am 24.12. können Pressestellen von Behörden die zuständigen Ermittler und Sachbearbeiter für Nachfragen nicht erreichen. Daher können die von mir ersuchten Auskünfte teilweise nicht gegeben werden.

Den Namen des Verstorbenen nenne ich nur, weil er bereits öffentlich bekannt ist und sein Name zuvor verbreitet wurde in Verbindung mit den wildesten Spekulationen. Daß die Horror-Bilder aus Gaza in den letzten Wochen mit dazu beigetragen haben, daß der junge Mann Suizid begangen habe, gehört noch zu den harmlosesten Vermutungen.

Manche fabulieren von einer «zionistischen Terrorzelle», die Barakat eliminiert habe, weil er israelkritische Postings in den sozialen Netzwerken verbreitet habe.

Wie soll man die absurden Verschwörungstheorien wirkungsvoll entkräften, ohne die Person ebenfalls beim Namen zu nennen?

In der arabischen Kultur ist Selbstmord ein Tabu und Suizid ist im Islam eine Sünde für die Hölle. Daher ist es aus Rücksichtnahme auf die Angehörigen und Hinterbliebenen des Verstorbenen angebracht, nicht über einen Suizid oder einen Suizidversuch zu berichten.

In diesem Fall ließ es sich jedoch leider nicht vermeiden, um die kursierenden Verschwörungstheorien zu entkräften (leider erreichen mich immer noch Nachrichten wie «Martin, der Mossad läßt es doch nur wie einen Selbstmord aussehen!»).

Zwar hat das Hamburger Abendblatt, wie bereits erwähnt, am 19.12. zuerst online über den Fall Barakat berichtet, allerdings ohne Nennung seines Namens und ohne Erwähnung des Suizidversuchs. In der Folge schoßen die Spekulationen in sozialen Netzwerken ins Bodenlose.

Zum Pressekodex

Dies ist die dunkle Seite der Berichterstattung von Medien, die sich aus guter Absicht den Pressekodex wahren und nicht über Suizide bzw. über Suizidversuche berichten und keine Namen von Opfern nennen.

Influencern wie Baé hilft es, ein falsches Mordnarrativ zu verbreiten und eine große Reichweite für Verschwörungstheorien zu erreichen, weil Polizei und (die meisten) deutschen Medien den Pressekodex wahren und somit Fake News nicht wirkungsvoll entkräften können. Der Fall Barakat ist ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch dafür, daß Polizei und deutsche Presse trotz Berichterstattung seit dem 19.12. die Desinformation nicht eindämmen konnten, gerade weil sie den Pressekodex wahrten.

Der Informationskrieg wird mit ungleichen Waffen geführt, weil nur die Polizei und (die meisten) deutschen Medien den Pressekodex wahren, aber den Influencern und arabischen Medien, die Desinformation verbreiten und den Diskurs dominieren, der Pressekodex egal ist.

Ohnehin gilt der Pressekodex nicht für arabische Medien, deren Berichterstattung im Todesfall Barakat eine starke Wirkung entfaltete auf Rezipienten in Deutschland, die nicht mehr erreicht werden durch deutsche Presse, die den Pressekodex wahrt.

Wie es nach dem Polizeisprecher-Interview weiterging

Nachdem ich das Interview mit dem Ersten Kriminalhauptkommissar Holger Vehren, Sprecher der Polizei Hamburg, veröffentlicht hatte, äußerte sich Winkelsdorf nochmals, diesmal etwas ausführlicher, zum Ablauf der Ereignisse am 19.12.:

«Am Dienstag erhielt ich um 15.37 Uhr die Mitteilung, dass über die die Melder der Feuerwehr Hamburg ein Alarm lief: ‹Suizid mit Schusswaffe, Raboisen 3X› Das ist der aktuell diskutierte Fall im Hanseatic Gun Club.

Um 15.38 Uhr rief ich bei einer Quelle vor Ort an, die war nicht erreichbar, eine weitere Quelle versuchte ich dann 15.51 Uhr, auch diese war zu der Zeit nicht erreichbar 15.59 erwischte ich dann die zuerst angerufene Quelle und bat um Bestätigung.

Die Quelle arbeitet auf diesem Schießstand, hat das Geschehen miterlebt und befand sich zu dieser Zeit unmittelbar vor der Eingangstür Dort wurden die Anwesenden, darunter auch er, von der Polizei zu dem Vorfall befragt.

Drei Personen wurden anschliessend noch zur Polizeiwache mitgenommen, um die Zeugenaussagen direkt verschriftlichen zu können.

Was weder das jordanische Aussenministerium weiss, noch in den Zeitungen stand: die Anlage ist komplett videoüberwacht. Nach meinen Informationen fand die Tat direkt beim Übungsschiessen statt, die Person hielt sich die Waffe an den Kopf und drückte ab.

Bei Eintreffen von Rettungswagen und Notarzt war die Person nicht ansprechbar, Vitalfunktionen waren aber vorhanden Der Patient wurde intubiert und an ein Beatmungsgerät angeschlossen, nach Stabilisierung wurde er zur nächstgelegenen Notaufnahme gefahren.

Feuerwehr und Polizei haben dann den Zeugen seelsorgerische Betreuung angeboten, hiervon soll kein Gebrauch gemacht worden sein. Hinweise auf eine Einwirkung durch andere Personen lagen also bereits ab 16.00 Uhr am Dienstag NICHT vor.» (Das Zitat wurde von mir zur besseren Lesbarkeit um einige wenige Satzzeichen ergänzt.)

Am 26.12. schließlich teilt die Polizei Hamburg mit: «Grundsätzlich berichten wir in Anlehnung an den Pressekodex nicht über Suizid! In Anbetracht von Gerüchten über ein Tötungsdelikt in Hamburg möchten wir jedoch an dieser Stelle klarstellen: Die Staatsanwaltschaft und das LKA Hamburg untersuchen derzeit einen Vorfall vom 19.12.23, bei dem sich ein 21-jähriger jordanischer Staatsbürger in Hamburg eine tödliche Schussverletzung selbst beigebracht haben soll. Es gibt bislang keine Hinweise auf ein Fremdverschulden oder einen politischen bzw. extremistischen Hintergrund.»

Sehr schade ist übrigens:

Die meisten Berichte in arabischen Medien wurden nicht korrigiert.

Wenn Sie selbst unter Suizidgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen.
Sie erreichen die Seelsorge unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet bei telefonseelsorge.de

 

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