Sven Birkmann gibt Einblicke in seine Radikalisierung

Published On: 24. Mai 2023

Rückblick auf Tag 1:

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Der zweite Hauptverhandlungstermin am 24.05.2023 des Staatsschutzverfahrens gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der «Kaiserreichsgruppe» lieferte tiefe Einblicke in die Radikalisierung der Angeklagten.

Der Trend geht zu ziviler Kleidung. Thomas Kirchner ist der einzige, der noch Anstaltskleidung trägt. Und Dr. Elisabeth Roth kann gehen und macht einen gefassteren Eindruck. Als die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Anne Kerber für das Protokoll die Namen der anwesenden Angeklagten verliest, unterbricht Dr. Roth die Vorsitzende erneut jäh und ruft: «Die Person Frau Roth ist nicht der Mensch, der vor Ihnen sitzt. Ich lasse mich von Ihnen nicht als Personal der BRD identifizieren. Nennen Sie mich beim Namen eines Menschen, Gottes und Bundesstaatsangehörigen.» Die Vorsitzende fragt: «Mit welchem Namen soll ich Sie anreden?» Die Angeklagte erwidert: «Als Frau Prof. Dr. Elisabeth von Wittgenstein Roth Mühlen.» Die Vorsitzende: «Die Frau Professorin kriegen Sie von mir nicht.» Die Vorsitzende führt den «Ordner 88» ins Verfahren ein.

Roths Rechtsanwalt Bernd Fiessler verliest die Eröffnungserklärung, um der Anklageschrift die Auffassung der Verteidigung gegenüberzustellen und die Richtung der Hauptverhandlung zu beeinflussen: «Die erhobenen Vorwürfe sind falsch. Die Anklageschrift ist ein Beleg des Erfindungsgeistes der Bundesanwaltschaft. Die systematisch vereinnahmte juristische Person Dr. Roth wollte keine Gewalt ausüben. Die verdeckte Arbeit des Verfassungsschutzes wurde verschwiegen. Der Verfassungsschutz hat eine Waffenübergabe per Unterwanderung organisiert.» Hinter dem Verfassungsschutz stehe das okkult agierende BRD System, das ihre Verhaftung provoziert habe.

Dr. Roth ergänzt Fiesslers Eröffnungserklärung: «Wir Angeklagte sind als Terroristen durch die Medien gejagt wurden. Mit diesem System stimmt es wahrlich nicht. Wegen meiner fünf Bücher bekam ich eine Disziplinarklage mit Streichung aller Pensionsbezüge, weil wissenschaftliche Inhalte nicht wahrgenommen wurden.» Roth könne die mediale Verfälschung der Unterwanderung durch den Verfassungsschutz dokumentieren. Sie habe sich nicht zu schade dafür empfunden, ihre Verhaftung zu provozieren, um mit dieser Verhandlung ein öffentliches Forum gegen die Propaganda zu bekommen.»

Ausführlichere Angaben macht Sven «Georg» Birkmann zur Person. Er verliest über Stunden seine Memoiren und genießt die Aufmerksamkeit.

Birkmann ist verheiratet, Vater eines Sohnes und russophil. Er hat zwei Jahre lang in Russland an der Druschba-Pipeline gearbeitet, die einen 518 km langen DDR-Abschnitt hatte.

Danach machte er eine Lehre zum Bankkaufmann, wurde Experte für Bilanzführung und bildete selber Bankkaufleute aus. Politisch war er immer interessiert, zunächst Mitglied der FDJ, der SED und zur Jahrtausendwende Mitglied der FDP. Danach sei ihm klar geworden, daß das Parteiensystem nicht funktioniere. Er fühlte sich nicht mehr vertreten durch die im Bundestag sitzenden Parteien und habe 2021 nicht mehr gewählt.

Der Russlandfreund Birkmann war gern in der NVA und pflegt in seinem Keller noch immer eine NVA-Uniform. NVA sei eine reine Friedensarmee gewesen und habe sich nicht in fremde Angelegenheiten eingemischt. «Nichts mit Hindukusch», lobt Birkmann seine NVA. Er schwärmt von seiner Ausbildung an der Offiziershochschule der Landstreitkräfte Ernst Thälmann in Löbau und Zittau. Waffenkunde habe ihm besonders gefallen.

Ausschlaggebend gewesen für Birkmanns Radikalisierung sei die Coronapolitik und die «drohende Zwangsimpfung» mit «nicht zugelassenem» mRNA-Impfstoff «unter Leitung eines Bundeswehrgenerals».

Die «brutale Niederschlagung friedlicher Demonstrationen» gegen die Coronamaßnahmen seien ein Angriff auf die Meinungsfreiheit.

Als Gegner der Impfung und Ungeimpfter sei er diskriminiert worden. Daß er ungeimpft blieb und sich gegen die Impfung wehrte, hinderte ihn daran, seinen Beruf im Bankgebäude auszuführen. Sein Recht auf Arbeit sei verletzt worden. In der Covidpolitik sieht Birkmann eine Irreführung der Bevölkerung. Durch menschenverachtende Kontaktverbote seien Menschen schwerwiegend geschadet worden.

Das Grundgesetz (GG) sei faktisch von der Regierung nicht mehr als bindend angesehen worden, Expertenkommissionen seien politisch zusammengesetzt und nicht aufgrund von wissenschaftlicher Expertise, andersdenkende Wissenschaftler gezielt diskreditiert worden.

Er sei entsetzt gewesen, daß Beate Bahner festgenommen und «unter ungeklärten Umständen» in die psychiatrische Klinik eingeliefert worden sei. Deutschland sein kein demokratischer Staat. Seit 2020 gehe die Staatsgewalt nicht mehr vom Volk aus, sondern richte sich gegen den Willen des Volkes.

Die Freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) sei laut Birkmann außer Kraft gesetzt, die Rechtssprechung nicht mehr an Recht und Gesetz gebunden und die Exekutive außer Kontrolle geraten. Birkmann habe das Recht auf Widerstand gem. Art. 20 GG ausgeübt, weil andere Abhilfe nicht möglich gewesen sei.

Für die etablierten Medien hat Birkmann nur Verachtung übrig. Diese hätten als 4. Gewalt versagt und versuchten derweil, das Volk umzuerziehen. Die klassischen Medien segneten das rechtswidrige Handeln des Staates ab, anstatt den Staat zu kritisieren, so der Angeklagte.

Birkmann entschloß sich daher, Menschen zu suchen, die so denken wie er, um Aktionen zu planen und sein vermeintliches Recht auf Widerstand auszuüben. 2021 war seine Anlaufstelle als NVA-Soldat ein Veteranenpool.

Birkmann glaubte, die fdGO nicht zu beseitigen, sondern wieder herzustellen. Er habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als umstürzlerische Aktionen zu planen. Er sieht sich als «politischen Gefangenen» und das gegen ihn geführte Staatsschutzverfahren politisch motiviert. Birkmann betont, kein rechter Reichsbürger zu sein. Auch den Kaiser wolle er nicht zurück. «Wir haben versucht, die einzige gültige Verfassung von 1871 in die Gegenwart zu übertragen», so Birkmann. Er betont mehrmals, ein Russlandfreund zu sein, der die russischen Werte wie Respekt vor der Familie, dem Alter, der Armee und ihren Veteranen zu teilen. «In der Bundeswehr wird weder dein Dienst, noch dein Tod gewürdigt», klagt Birkmann. Das sei in Russland anders. Dort sei der Veteran ein geachteter Mann. Werte wie Kampfgeist und Kameradschaft würden gelebt.

«Die Gemeinschaft ist wichtig und macht glücklich», lautet ein typischer Satz von Birkmann, der glaubt, diese heile Welt sei Russland, das Vorbild für ihn, seine Vereinigung und für die Zeit nach dem Putsch. « Wir brauchen eine Grundreinigung durch die Russen, die es im Westen nie gegeben hat», fordert Birkmann, der die Putinhaftbefehle kritisiert, den Genderwahn, in der Öffentlichkeit ausgelebte Homo- und Transsexualität. «Ich halte es wie die Russen: Es lebe die traditionalle Familie, Mama, Papa und Kinder», bekennt Birkmann. Deutschland habe seit der WM 2014 keine Volksgemeinschaft mehr.

Immer wieder kommt er auch auf das «Ahrtal-Versagen» zu sprechen. «Mir geht das Ahrtal immer noch so nah. Der Staat hat es nicht geschafft, Geld an Flutopfer im Ahrtal auszuzahlen. Aber Ballweg vor den Kadi zerren!», empört sich Birkmann, um sich im nächsten Moment zu verlieren in einen Exkurs über das Ostsandmännchen, das dem Westsandmännchen überlegen sei. Oft trauert Birkmann der der DDR nach, dort sei der ÖPNV besser ausgebaut gewesen als im Westen, bis auf kleinste Dorf der Zone sei man mit dem Bus gekommen.

Birkmann zählt sodann das Unrecht der Geschichte auf: die Rheinwiesenlager, Dresden, Hiroshima, Nagasaki, Guantanamo, der Vietnamkrieg und daß Voralberg seinen Müll nach Ravensburg schaffe.

Bei den Coronademos, die eigentlich als «Anticoronamaßnahmendemonstrationen» zu bezeichnen seien, sei er schon früh 2020 in Berlin dabei gewesen und habe gesehen, wie friedliche Demonstranten niedergeknüppelt worden seien. «Wer das Grundgesetz hochhält kriegt dafür auf die Fresse», erinnert sich Birkmann an die Demos 2020 in Berlin. Auch von Polizeigewalt gegen die Demo «Pfingsten in Berlin» 2021 berichtet er. «Die Wahrheit darfst du in diesem Land schon lange nicht mehr sagen. Dafür wirst du geschasst. Siehe Thilo Sarrazin», erzählt Birkmann, der das Parteiausschlußverfahren gegen Gerhard Schröder wegen seiner Nähe zu Putin kritisiert.

Plötzlich singt Birkmann eine Strophe der Deutschen Nationalhymne. Dann sagt er: «Ich mag Satire und Kabarett, aber auch die Toten Hosen, wie rechts kann ich also sein?» Und imitiert kurz darauf den Lärm eines Modems. Es war die große Sven-Birkmann-Show mit dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgericht Koblenz als Bühne und der Angeklagte genoß sichtlich die Aufmerksamkeit seines Publikums. Der Senat, die Bundesanwaltschaft und die Öffentlichkeit, sie alle müssen ihm Stunden lang zuhören, auch wie er über seine eigenen Witze lacht.

50 Seiten mit Angaben zur Person habe Birkmann heute gelesen, sagt sein Verteidiger Philipp Grassl, die weiteren 50 Seiten folgen am morgigen Donnerstag.

«Ohne Corona würden wir hier nicht sitzen», bringt Grassl die Radikalisierung seines Mandanten, der als Ungeimpfter nicht mehr seinen Arbeitsplatz betreten durfte, auf den Punkt.

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